Das Feenorakel
nichts entdecken. Im Gegenteil, sie schien über Alvas Erkrankung ehrlich besorgt zu sein. Die Fee, die bereits seit mehreren Generationen in der Welt der Sterblichen lebte, hegte freundschaftliche Gefühle für das Küken , wie sie Alva beinahe liebevoll nannte. Und noch etwas sah er: Christabella wusste erschreckend wenig über ihresgleichen. Sie ahnte nicht, dass ihre neue Freundin eine Sirene sein könnte, auch wenn sie natürlich verstand, dass das Geheimnis ihrer Anziehungskraft in Alvas Stimme zu finden war.
Ihre Anstrengungen verstärkten sich, die zweifellos schmerzenden Handgelenke zu bewegen. Julen lockerte seinen Griff und nahm sofort eine subtile Veränderung in ihrem Duft war. Fast hätte er sie ganz losgelassen. Die Situation erregte sie!
Und auf einmal nahm auch er ihren warmen Körper deutlich wahr. Was im Grunde nicht weiter verwunderlich war, denn sie standen dicht aneinandergepresst, fast wie ein Liebespaar, in dem schlecht beleuchteten Gang. Und das kleine Luder hielt nicht länger still, sondern provozierte ihn mit eindeutigen Bewegungen ihrer Hüfte. Der allgegenwärtige Hunger hob sein hässliches Haupt. Feenblut war für Vampire beinahe unwiderstehlich.
Doch was bezweckte sie mit ihrem Verhalten? Immerhin dürfte ihr sein Interesse an Alva nicht entgangen sein und für eine echte Freundin, das hatte er jedenfalls bisher immer geglaubt, war es inakzeptabel, der anderen den Mann auszuspannen.
Auf Antworten würde er indes noch warten müssen. Schritte näherten sich und Julen ließ Chris so schnell los, dass sie taumelte. Er berührte ihre Schulter, um sie zu stabilisieren und vor einem Sturz zu bewahren. In diesem Augenblick bog Tally um die Ecke.
«Wie interessant!» Die Augen der Sängerin glitzerten. Hätte er es nicht besser gewusst, hätte Julen sie für ein Dämonenweib gehalten. Tally kam mit wiegenden Schritten näher, und wie sie dabei den Kopf schräg hielt, erinnerte an eine angriffslustige Kobra.
Was nicht ist, kann ja noch werden. Das Potenzial zu einer höllischen Karriere besaß sie ganz gewiss und Luzifers Schergen waren immer auf der Suche nach gutem Personal.
Chris neben ihm versteifte sich. Deutlich konnte er spüren, dass auch sie wenig Sympathien für die Sängerin der Midnight Fairytales übrighatte. «Was suchst du hier draußen? Musst du nicht schon längst in der Maske sein?»
Tallys Augen zogen sich für die Dauer eines Wimpernschlages zu schmalen Schlitzen zusammen, dann lachte sie ohne Heiterkeit. «Meine Liebe, was du hier siehst, ist alles natürliche Schönheit.» Provozierend glitten ihre langen Finger über den flachen Bauch hinab, bis die Fingerspitzen zwischen ihren Beinen lagen. Dabei ließ sie Julen keine Sekunde aus den Augen.
Er brauchte sie nicht zu lesen, um zu wissen, was sie dachte. Was gibst du dich mit der da ab, wenn du mich haben kannst? , signalisierte sie mit jeder Faser ihres attraktiven Körpers.
Noch appetitlicher war allerdings die seltene Blutgruppe, die in ihren Adern floss und die vollen Lippen rötete. Süß und schwer würde es schmecken. Ein exzellentes Dessert nach einer heißen Runde im Bett oder gleich hier an der Hauswand. Schnell und schmutzig. Die Fantasie geht mit mir durch!
Als ahnte Tally seine Gedanken, beschleunigte sich ihr Atem.
Und wenn er sich nicht täuschte, dann drängte sich auch Chris in eindeutiger Absicht an ihn. Möglicherweise hätte er das Angebot der beiden vor nicht allzu langer Zeit tatsächlich angenommen. Dass sich diese Frauen hassten, hätte der Sache eine zusätzliche Würze gegeben.
Tally war die Erste, die erkannte, dass er heute nicht zum Spielen aufgelegt war. «Ich wollte mal nachsehen, ob unsere unpässliche Diva aufzutreten gedenkt», erklärte sie beiläufig und verschränkte die Arme vor der Brust.
«Allerdings werde ich das. Und wenn dein Hintern den Durchgang nicht blockieren würde, dann könnte ich jetzt schon auf der Bühne stehen!» Alva berührte seine Hand wie zufällig.
Ob es Dankbarkeit für seine Hilfe war oder einfach nur der Wunsch, ihr Revier abzustecken, konnte Julen nicht sagen. Er hatte sie längst kommen hören; da Tally aber nur Augen für seine breiten Schultern zu haben schien, war ihr entgangen, dass ihre Konkurrentin hinter ihm aufgetaucht war. Oder auch nicht! Frauen würde er nie verstehen.
«Stand & Deliver! Hände hoch! » Nun kam auch noch Stefan um die Ecke, zog sich sein Halstuch über die Nase und gab eine filmreife Darstellung als
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