Das Fest der Schlangen
lernen, gelassener zu werden. So sah Bobby es wenigstens. Aber zu den Kojoten fiel ihm nichts ein.
Barton hatte die Schafe wieder auf die Weide getrieben – »Sie müssen ja schließlich fressen, oder?« – und saß auf seinem Stuhl vor dem Haus mit der Winchester auf den Knien und einer Wolldecke um die Schultern. Hercel saß daneben auf dem Boden und spitzte mit einem Schweizer Armeemesser einen Stock an – »schnitzeln« nannte Barton das. Der Bouvier umkreiste die Schafe und hielt sie locker zusammen.
Als Bobby den Minidackel aus dem Z hob, lachte Barton. »Ist das mein neuer Schäferhund?«
Aber Hercel stürzte auf den Hund zu und nahm ihn auf den Arm. Er weinte nicht, war jedoch kurz davor. Sein ganzes Leben war in Scherben gegangen, und nur der Hund war geblieben. Er lief ins Haus, um ihn Lucy und Tig zu zeigen.
»Nett von Ihnen, dass Sie ihn hergebracht haben«, sagte Barton.
Bobby ließ sich neben dem alten Mann in die Hocke sinken und schaute über die Weide. Hohe Bäume ragten ringsum hinter der Mauer in die Höhe. Die Schafe – jetzt waren es noch neunundzwanzig Stück – schienen die Aufmerksamkeit des Bouviers zu akzeptieren. Ein halbes Dutzend Gänse pickte sich Leckerbissen aus dem Gras. Es war still bis auf ein paar Vogelstimmen – man hörte eine Krähe und einige Elstern, und ein Rotkehlchen gab ein klickendes, zirpendes Geräusch von sich und warnte seine Kollegen vor der getigerten Katze, die sich auf der Stufe vor dem Haus sonnte.
»Hübsch haben Sie’s hier«, stellte Bobby fest.
Ein banger Unterton schlich sich in Bartons Stimme. »Ich weiß nicht, wie lange ich es noch halten kann. Ich hinke auf einem Bein herum, und einer meiner Hunde ist ausgefallen. Wenn die Kojoten über die Mauer kommen, genügt auch ein halbes Dutzend Hunde nicht mehr. So, wie sie gestern Abend auf Krause losgegangen sind, hätten sie ihn umbringen können. Sie haben Angst vor dem Gewehr, aber ich kann ja nicht gut jede Nacht Wache halten, und was hat es für einen Sinn, die Schafe in der Scheune zu halten? Ich bin zu alt, um Fort Apache zu spielen.«
»Ein Sergeant von der Naturschutzbehörde hat mir erzählt, dass sie Beschwerden kriegten: Haustiere verschwinden, Leute werden bedroht. Haben Sie eine Ahnung, was dahintersteckt?«
Barton lachte. »Bernie hat ein paar Wiccaner-Freundinnen, die behaupten, das wären Gestaltwandler. Es gibt eine Menge Zaubersprüche und Methoden, sich in einen Wolf zu verwandeln, aber es ist fraglich, ob sie funktionieren. Andererseits ist Krause knurrend auf allen vieren rumgerannt. Bei ihm würde ich allerdings sagen, dass es sich um einen Fall von klinischer Lykanthropie handelt. Das ist eine Art Schizophrenie. Frank Norris hat einen Roman über einen Mann geschrieben, der sich in einen Wolf verwandelt: Vandover und die Bestie . Daran hat Krause mich erinnert. In Zentralasien gibt es eine Menge Werwolf-Mythen, doch da handelt es sich um hundsköpfige Menschen, nicht um so was wie Gray oder den armen Rags. In einer deutschen Studie über Lykanthropie, die vor ein paar Jahren erschienen ist, werden mehr als dreißig Fälle beschrieben, aber die meisten Probanden waren keine Wölfe, sondern Tiger, Vögel und Katzen, sogar Frösche und Bienen.«
»Sie haben sich kundig gemacht.«
»Nur ein bisschen leichte Internet-Lektüre in der Nacht. Allerdings gibt es ein Problem, wenn man diese Kojoten als Gestaltwandler bezeichnen will. Kommen Sie und bringen Sie das Gewehr mit.«
Barton wuchtete sich an seinem Gehgestell hoch und machte sich auf den Weg zur Scheune. Drinnen auf dem Boden lag etwas Klobiges unter einer blauen Plane.
»Ziehen Sie die mal weg«, bat Barton.
Bobby packte die Plane an einer Ecke und zog. Darunter lag ein toter Kojote.
»Die Naturschutzbehörde will ihn heute Morgen abholen. Der Punkt ist: Wenn Sie einen Werwolf oder einen Gestaltwandler töten, sollte er eigentlich wieder seine menschliche Gestalt annehmen.« Barton stieß mit dem vorderen Bein seines Gehgestells gegen den Kadaver. »Das da ist ganz und gar ein Kojote. Oder doch fast.«
Die Farbe des Tieres war eine Mischung aus Schwarz, Braun und Grau. Hundeähnlich, aber kein Hund. »Er ist groß. Was heißt › fast ‹ ?«
»Westliche Kojoten wiegen zwischen fünfzehn und zwanzig Kilo. Dieses Prachtstück wiegt über dreißig. Tatsächlich ist es überhaupt kein Kojote. Das ist ein Coywolf. Sehen Sie, wie gedrungen er ist? Ich nehme an, er stammt von kanadischen Rotwölfen ab. Die Sache ist
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