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Das Fest der Zwerge

Das Fest der Zwerge

Titel: Das Fest der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Polzin
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spürte er als Erstes einen stechenden Schmerz in seiner rechten Seite. Zunächst wusste er nicht, was mit ihm geschehen war, doch dann erinnerte er sich an sein scheuendes Pferd und den Sturz. Er musste sich dabei mehrere Rippen gebrochen haben, und auch den rechten Arm konnte er nicht mehr bewegen. Er versuchte aufzustehen, war aber zu schwach dazu. Also musste er hier liegen bleiben und auf Hilfe warten, falls überhaupt welche kam. Seine Gedanken flogen zu seiner Frau, und er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen.
    Er vermochte sich nicht aufzurichten. Über sich sah er einen Himmel, der sein strahlendes Blau verloren hatte und sich dunkel färbte. Mit einem Mal zuckte ein Blitz aus den Wolken und schlug in eine alte Buche unweit von ihm ein. Erschrocken starrte er auf den Baum, der jetzt einem Kreuz glich, das in Flammen stand. Ein schlechtes Omen.
    Wo befand er sich überhaupt?, fragte er sich. War er noch näher an der heimatlichen Burg oder hatte er bereits den größten Teil des Weges nach Schmölz bewältigt? Als er sich herumwälzte und sich umsah, erschien seine Umgebung ihm völlig unbekannt. Nicht weit von ihm erstreckte sich ein düsterer, abweisend wirkender Wald, der keinesfalls zwischen der Wallburg und Schmölz liegen konnte, und auch sonst wirkte die Gegend in seinen Augen seltsam fremd.
    Mit einem Mal begann es zu schneien, und noch während Albrecht seinen Reitumhang als Decke über sich zog, glaubte er weiter vorne eine Gestalt zu erkennen, die von weißen Flocken umtanzt auf ihn zuschritt.
    Sie beugte sich mit besorgter Miene über ihn und streckte ihre Hand aus, als wolle sie ihn berühren. Es war eine Frau. Albrecht spürte, wie ihm erneut die Sinne schwanden. Sein letzter Gedanke galt Bärbel, deren Nähe er mit einem Mal so stark fühlte, als stünde sie direkt neben ihm.
     
    *
     
    Eben war der Himmel noch klar gewesen, doch von einem Schritt zum nächsten befand sich Bärbel inmitten eines Schneetreibens, wie sie es kaum je erlebt hatte. Nun bekam sie es mit der Angst zu tun, Albrecht könnte ohnmächtig auf der Erde liegen und vom Schnee begraben werden.
    Da entdeckte sie eine menschliche Gestalt im allgegenwärtigen Weiß und ritt hastig darauf zu. Die Erscheinung bewegte sich von ihr fort. Obwohl das Wesen eher gemächlich ausschritt, gelang es Bärbel nicht, die Entfernung zu verringern. Daher trieb sie die Stute trotz der schlechten Sicht wieder in einen schnellen Galopp und verlor die Gestalt prompt aus den Augen.
    »Bärbel, du bist eine Närrin«, schalt sie sich, als sie begriff, dass sie durch diesen Zwischenfall die Straße nach Schmölz verlassen hatte und in unbekanntes Gebiet hineingeritten war. Sie hoffte, Kunz würde bemerken, dass sie vom Weg abgewichen war, und den Spuren ihrer Stute folgen. Als sie sich jedoch umwandte, schwand diese Hoffnung, denn der immer dichter fallende Schnee verdeckte innerhalb kürzester Zeit jeden Hufabdruck.
    Auf die Hilfe des Knechts konnte sie nicht bauen, also versuchte sie herauszufinden, wo sie sich befand. Das aber hätte sie genauso gut in einer stockfinsteren Nacht ohne Sterne tun können. Wegen des Schneetreibens reichte ihre Sicht nicht weiter als zehn oder zwanzig Schritte, und das wenige, das sie sah, kam ihr völlig fremd vor.
    Eine Bewegung direkt vor ihr erregte ihre Aufmerksamkeit. Mit raschem Griff hielt sie ihre scheuende Stute im Zaum und stieß im nächsten Augenblick einen Jubelruf aus.
    »Albrecht!«
    Ihr Mann kniff verwundert die Augen zusammen und sah sie an, als stände ein Engel des Herrn vor ihm. Da sprang Bärbel bereits aus dem Sattel und eilte zu ihm hin. Mit der Linken hielt sie den Zügel der Stute fest, mit dem anderen Arm umschlang sie Albrecht.
    »Gott im Himmel sei Dank! Ich habe dich gefunden!«
    Albrecht lächelte ungläubig. »Bärbel, bist du es wirklich, oder narrt mich ein Geist?«
    »Wenn wir nicht bald einen Unterschlupf finden, werden wir beide Geister sein. Spürst du nicht, dass es immer kälter wird?«
    »Ich friere schon die ganze Zeit über fürchterlich«, gab er zu.
    »Komm, wir nehmen meine Stute. Sie muss uns solange tragen, bis wir Kunz gefunden haben.«
    Während Albrecht mühsam auf das Pferd kletterte, drehte Bärbel sich um und rief in das Schneetreiben hinein. »Kunz, kannst du mich hören?«
    Es kam jedoch keine Antwort. Der Stallknecht musste auf der gewohnten Straße weitergeritten sein und würde erst auf Burg Schmölz bemerken, dass sie vom Weg abgekommen

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