Das Fest
sie hinterher wieder hinaufzubugsieren. Dazu musste er die Treppe zum zweiten Stock erklimmen, sich in den engen Korridor zwischen zwei Zimmern zwängen und dann mit Mühe und Not die jeweilige Kiste — die natürlich unweigerlich zu groß war — die wackeligen Sprossen hinauf durch die Dachluke schieben. Dabei war es ganz egal, ob man die Kisten holte oder zurückbrachte, der Gefährlichkeitsgrad blieb derselbe. Es grenzte an ein Wunder, dass Luther sich in all den Jahren noch nie ernsthaft verletzt hatte.
»Und danach fängst du an, Frosty zu montieren«, bellte Nora wie ein Admiral.
Sie wählte Reverend Zabriskies Nummer und bearbeitete ihn so lange, bis er sich bereit erklärte, am Abend für eine halbe Stunde vorbeizukommen. Dann zwang sie Luther, seine Sekretärin Dox anzurufen und zu überreden, ebenfalls auf einen Sprung hereinzuschauen. Dox war zwar dreimal geschieden und momentan unverheiratet, hatte jedoch immer irgendeine Art von Freund. Diese beiden, plus der Reverend und Mrs. Zabriskie, plus der Underwood-Klan, das machte optimistisch gerechnet acht Gäste, falls sich alle zur selben Zeit einfanden. Zusammen mit den Kranks, Blair und Enrique also zwölf Personen.
Zwölf — bei dieser Zahl brach Nora beinahe in Tränen aus. An Heiligabend würden zwölf Personen in ihrem Wohnzimmer wirken wie drei.
Sie rief ihre beiden Lieblingsweinhandlungen an. Die eine hatte bereits geschlossen, die andere nur noch eine halbe Stunde geöffnet. Um vier Uhr machte sich Nora hektisch auf den Weg. Sie ließ eine Flut von Anweisungen für Luther zurück, der mittlerweile ernsthaft erwog, einfach in den Keller zu gehen und seine Probleme im Kognak zu ertränken.
16
K urz nachdem Nora fort war, klingelte das Telefon. Luther schnappte es sich. Vielleicht war das ja noch einmal Blair. Er würde ihr die Wahrheit erzählen. Er würde ihr ordentlich die Meinung sagen und ihr klarmachen, wie rücksichtslos und egoistisch diese Überraschung in letzter Minute war. Natürlich würde sie verletzt sein, aber sie würde darüber hinwegkommen. Und angesichts der bevorstehenden Hochzeit brauchte sie ihre Eltern schließlich mehr denn je.
»Hallo?«, schnappte er.
»Hallo, Luther, hier spricht Mitch Underwood«, ertönte eine dröhnende Stimme, bei deren Klang Luther am liebsten den Kopf in den Backofen gesteckt hätte. »Hi, Mitch.«
»Fröhliche Weihnachten. Hör mal, danke für die Einladung und alles, aber wir können euch einfach nicht mehr dazwischenquetschen. Bei den vielen Partys.«
Na klar, die Underwoods standen auf sämtlichen Gästelisten ganz oben. Die Leute sehnten sich geradezu nach Mitchs unerträglichen Schimpfkanonaden auf die Vermögenssteuer und die Einteilung der Stadtbezirke. »Mensch, das ist aber wirklich schade, Mitch«, erwiderte Luther. »Vielleicht klappt es ja nächstes Jahr.«
»Bestimmt. Ruft uns einfach an.«
»Frohes Fest, Mitch.«
Die Zwölfergruppe war nun auf acht zusammengeschrumpft, und weitere Fahnenfluchten sollten folgen. Luther hatte sich noch keinen Zentimeter vom Telefon wegbewegt, als es erneut klingelte. »Mr. Krank, ich bin es, Dox«, sagte eine gequält klingende Stimme.
»Hallo, Dox.«
»Tut mir Leid wegen Ihrer Kreuzfahrt und alldem.«
»Das sagten Sie bereits.«
»Tja, mir ist jetzt leider etwas dazwischengekommen. Mein Bekannter wollte mich heute mit einem Abendessen in Tanner Hall überraschen — Champagner, Kaviar, alle Schikanen. Er hat den Tisch schon vor einem Monat reserviert, da kann ich ihm nun nicht einfach absagen.«
»Natürlich nicht, Dox.«
»Er hat sogar eine Limousine gemietet. Er ist wirklich ein Schatz.«
»Hört sich ganz danach an.«
»Ich würde mich liebend gern mal wieder mit Blair unterhalten, aber wir werden es wohl nicht schaffen, bei Ihnen vorbeizuschauen.«
Blair war seit einem Monat fort. Dox hatte sie seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. »Ich werde ihr schöne Grüße von Ihnen ausrichten.«
»Es tut mir Leid, Mr. Krank.«
»Kein Problem.«
Jetzt waren noch sechs Personen übrig: drei Mitglieder der Familie Krank, Enrique, der Reverend und Mrs. Zabriskie. Luther hätte beinahe Nora angerufen, um ihr die schlechte Nachricht mitzuteilen, aber dann überlegte er es sich anders. Die Arme kämpfte sich da draußen durch die Massen und zermarterte sich sowieso schon zur Genüge das Hirn. Warum sollte er sie noch zusätzlich quälen? Warum sollte er ihr noch einen Grund liefern, ihn anzufahren, weil seine grandiose Idee sie in diese
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