Das Fest
warmherziges Lächeln auf. War da nicht irgendeine schlimme Geschichte mit seiner Frau gewesen? Entweder war ae an einer Krankheit gestorben oder hatte sich mit einem jüngeren Mann davongemacht. Nora erinnerte sich daran, dass sie ihn vor ein paar Jahren auf einem Ball kennen gelernt und dann einige Zeit später von der Sache mit seiner Frau erfahren hatte. Wie hieß er bloß? Möglicherweise arbeitete er an der Universität. Auf jeden Fall war er gut gekleidet und trug über der Strickjacke einen eleganten Trenchcoat.
»Was treibt Sie denn jetzt noch aus dem Haus?«, erkundigte er sich. Er selbst trug einen leeren Einkaufskorb über dem Arm.
»Ach, ein paar Besorgungen in letzter Minute, Sie wissen ja, wie das ist. Und Sie?« Nora bekam den Eindruck, dass er im Grunde nichts zu tun hatte und einfach nur unter Menschen sein wollte. Wahrscheinlich fühlte er sich einsam.
Was um alles in der Welt war mit seiner Frau geschehen?
Sie konnte keinen Ehering entdecken.
»Mir fehlen auch noch einige Kleinigkeiten. Sie geben morgen wohl ein großes Essen?«, fragte er und sah dabei auf die Erdnussbutter im Regal.
»Nein, schon heute Abend. Unsere Tochter kommt zu Besuch aus Südamerika, also haben wir schnell eine kleine Party organisiert.«
»Blair?«
»Ja.«
Er kannte Blair!
Nora sprang ins kalte Wasser. »Warum schauen Sie nicht einfach vorbei?«
»Meinen Sie wirklich?«
»Sicher, es ist alles ganz zvanglos, jeder kann kommen und gehen, wie er möchte. Eine Menge Leute, gutes Essen.« Bei dem Gedanken an die geräucherten Forellen musste sie beinahe würgen. Bestimmt würde ihr sein Name bald einfallen. »Um wie viel Uhr?«, fragte er sichtlich erfreut. »Je früher, desto besser. Sagen wir um sieben.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Also in zwei Stunden.« Zwei Stunden! Nora hatte zwar selbst eine Uhr, aber aus dem Mund einer anderen Person klang es doppelt so furchtbar. Zwei Stunden! »Oh, dann muss ich jetzt aber los«, sagte sie.
»Sie wohnen in der Hemlock Street, nicht wahr?«
»Ja, Nummer vierzehnachtundsiebzig.« Wer war dieser Mann? Nora huschte davon und betete, dass sein Name innerhalb der nächsten zwei Stunden aus den Tiefen ihres Gedächtnisses auftauchen würde.
Sie fand schließlich das Karamell, die Marshmallowcreme und die Torteletts.
Die Schlange an der Expresskasse — maximal zehn Artikel — erstreckte sich bis zur Tiefkühlabteilung. Nora stellte sich hinten an, vermied es sorgfältig, auf ihre Uhr zu sehen, und stand kurz vor einer bedingungslosen Kapitulation.
17
L uther wartete so lang er konnte, obwohl er eigentlich keine Sekunde zu verlieren hatte. Um halb sechs würde blitzschnell die Dämmerung einsetzen, und plötzlich schoss ihm die verrückte Idee durch den Kopf, den alten Frosty im Schutz der Dunkelheit auf das Dach zu hieven. Im Grunde wusste er, dass das unmöglich war, aber es fiel ihm momentan schwer, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
Also verbrachte er ein paar Minuten damit, seine Vorgehensweise zu planen. Der Angriff musste zwangsläufig von der Rückseite des Hauses aus erfolgen — auf gar keinen Fall wollte er Walt Scheel, Vic Frohmeyer oder irgendjemandem sonst die Gelegenheit geben, ihn in Aktion zu sehen.
Er zerrte den Plastikschneemann aus dem Keller, ohne ihm oder sich selbst größeren Schaden zuzufügen, fluchte jedoch bei jedem Schritt, bis er endlich die Terrasse erreicht hatte. Dann holte er die Leiter aus dem Geräteschuppen im Garten. Bisher hatte ihn noch niemand bemerkt — das nahm er zumindest an.
Das Dach war nass, man konnte sogar ein oder zwei vereiste Stellen erkennen. Mit einem sechs Millimeter dicken Nylonseil um die Taille kletterte Luther ängstlich die Leiter hoch und kroch über die Schindeln, bis er den höchsten Punkt erklommen hatte. Er warf einen verstohlenen Blick über den Dachfirst und schielte dann nach unten — das Haus der Scheels lag direkt vor ihm.
Er schlang das Seil um den Schornstein und bewegte sich Zentimeter für Zentimeter rückwärts wieder hinunter. Doch dann trat er auf einen Eisflecken und rutschte einen halben Meter weit. Er konnte sich gerade noch fangen, hielt inne und wartete darauf, dass sein Herz wieder zu schlagen begann. Dann blickte er entsetzt nach unten. Wenn tatsächlich ein Unglück geschah, würde er nach einem sehr kurzen freien Fall inmitten der Terrassenmöbel aufschlagen, die aus Metall waren und auf solidem Backstein standen. Der Tod würde wahrscheinlich nicht sofort eintreten,
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