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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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Lavendelbeete. Die geometrischen Formen der Hecken waren gänzlich aus der Fasson geraten, und auf den Rasenflächen explodierte das Unkraut. Ein langgestrecktes Gewächshaus, das den Garten begrenzte, hing auf ganzer Länge bedenklich durch, die Scheiben waren mit Vogelkot beschmutzt und zerbrochen. Lady Lucretia berührte das Medaillon an ihrem Hals.
    »Eure Majestät sollten Sir William unbedingt auf die nachlässige Bestellung seiner Gärten aufmerksam machen«, bemerkte sie. »Das ziemt sich nicht für ein Haus, das einer Königin geziemt.«
    Ihre Majestät blickte ängstlich von den blinkenden Fenstern zu der verschlossenen Tür.
    »Wir sollten uns nicht hier aufhalten«, sagte sie furchtsam.
    Lady Lucretia ergriff sie mit fester Hand am Arm. Die Ängste der Königin waren Teil ihres Privilegs, sagte sich die Dame vom Fußschemel. Mit der furchtsamen Natur der Königin hatte man rechnen müssen. Niemand besuchte diesen Garten, beruhigte Lady Lucretia Ihre Majestät. Seit Jahren nicht. So wie auch niemand diese Galerie aufsuchte. Die Sonnengalerie war ihr Lebtag lang geschlossen gewesen, das wusste sie.
    Sie zog Ihre Majestät vom Anblick der überwucherten Beete weg und ging über den staubigen Holzfußboden weiter. Hinter einer Tür, die unauffällig in die Wandverkleidung eingepasst war, ertönte der schwache Widerhall des Küchenlärms, der aus den Tiefen des Gebäudes aufstieg. Der unverschämte Küchenjunge schleppte wohl die Vögel
zu seinem Prinzipal, dachte Lady Lucretia, während sie dem dumpfen Dröhnen lauschte. Die steilen Stufen hinter der Tür stieg niemand mehr empor.
    Sie hörte den Schritt Ihrer Majestät wieder zögerlicher werden. Wie gut, dass Lady Lucretia da war, um sie anzutreiben. Die Dame vom Fußschemel hielt Ihrer Majestät bisweilen scherzhafte Strafpredigten, was Ihre Majestät sich von ihrer inniggeliebten Hofdame mit einer Nachsicht gefallen ließ, wie eine Mutter sie ihrem Kind bezeigt, wenn sie sich dessen spielerischen Schikanen unterwirft und mit ihrem Entgegenkommen ihre Liebe unter Beweis stellt. Lucretia erwog, ob eine Strafpredigt angezeigt sei, beschloss aber stattdessen, die Königin am Handgelenk zu ergreifen und mitzuziehen. Auch das, so entschied sie, gestattete das Protokoll.
    Ihre Kleider raschelten. Lady Lucretia trug ihr Lieblingskleid aus grünem Kattun mit leuchtendroter Borte am Saum. Absätze klapperten auf den Dielen und wirbelten Staubwölkchen auf. Ihre Majestät, die nun vor der dunklen Tür am Ende der Galerie stand, bezweifelte die Schicklichkeit, ein Schlafzimmer vor der Mittagsstunde aufzusuchen, und bemerkte, dass diese Tür so verschlossen sei wie die erste.
    Lady Lucretia lächelte. Sie berührte die straffen Flechten ihres Haars. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug, als sie den Arm Ihrer Majestät losließ. Das Zwicken ihres ungehorsamen Magens war inzwischen stärker, wenn auch nicht unvertraut. Keine Faust, sondern ein Maul mit scharfen Zähnen, das in ihrem Inneren wühlte. Denke nicht dran, ermahnte sie sich. Leugne es, wie du es immer tust. Sie fasste in ihr Mieder und holte ein hellgrünes Band heraus. An seinem Ende baumelte ein kleiner Schlüssel. Das Schloss klickte. Lady Lucretia stieß die Tür auf.
    »Das Schlafzimmer Eurer Majestät.«
    Ihre Majestät spähte in das dunkle Zimmer, zu den verhängten Fenstern und den mit schwarzem Damast verkleideten Wänden.
    »Sind unsere ... Gefährtinnen hier, Lady Lucretia?«
    Lady Lucretia lächelte. Ihre Majestät hatte sich erinnert. Ausnahmsweise.

    »Gewiss, Eure Majestät.«
    Es hatte viel Umsicht erfordert, sich den Schlüssel zu verschaffen, und viel Anstrengung, die Gefährtinnen hierher zu bringen. Um das Bett mit seinem Baldachin herum rekelten sich die Hofdamen des Kabinetts der Königin: Lady Pipkin, Lady Whitelegs und Lady Silken-Hair. Lady Pimpernel war offenbar von ihrem Stuhl gefallen. Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Fußboden.
    Als Lady Lucretia schnell vortrat, um die Hofdame aufzuheben, erwähnte die Königin ihren nagenden Hunger, unbefriedigt seit dem Frühstück, zu dem sie ein Weißbrötchen mit verlaufendem Käse und eine Schale Brühe verzehrt hatte. Konnten sie nicht in den Speisesaal hinuntergehen?
    Die Erwähnung von Nahrung hatte die übliche Wirkung. Lady Lucretia spürte leise Übelkeit in ihrem Inneren aufsteigen und darunter das gewohnte unbezähmbare Verlangen. Das war ihr Kostgänger. Ihr ungewollter Appetit. Ihr Magen verkrampfte sich, als die

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