Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
Strom von Tränen versiegt war. »Wissen Sie, das ist alles so furchtbar lange her.«
Möhrs blieb hart. »Und Sie haben trotzdem in all der Zeit nicht auch nur einen Gedanken daran vergeudet, zur Polizei zu gehen? Warum?«
»Warum?« Das Taschentuch zwischen ihren Fingern hattesie inzwischen zu dünnen Papierfetzen zerrieben. »Weil ich ihn geliebt habe. Hätten Sie das an meiner Stelle getan? Den eigenen Mann angezeigt, damit er ins Gefängnis muss? Damit er sie danach hasst?«
Möhrs hätte ihr mit einem Gemeinplatz antworten können. Dass der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert war. Dass in der Liebe und im Krieg entgegen landläufiger Meinung eben doch nicht alles erlaubt war. Dass jeder die Konsequenzen seines Handelns selbst zu tragen hatte. Stattdessen entschied er sich zunächst für einen großen Schluck Tee und danach für einen Themenwechsel. »Sie haben das also erst alles verdrängt, aber nach dem Unfall Ihres Mannes ist es Ihnen dann wieder eingefallen. Aus heiterem Himmel.«
»Nicht aus heiterem Himmel.« Brüskiert schüttelte sie den Kopf. »In den Wochen davor, da war er anders als sonst. Nicht so schlimm wie damals. Aber er war nervös. Unkonzentriert. Vergesslich. Ich habe ihn darauf angesprochen, und er meinte, es wäre wegen des Kraftwerks. Dass er sich Sorgen macht, ob er nicht doch irgendwann bald entlassen wird, weil man ihn da nicht mehr braucht. Ich habe ihm gut zugeredet.« Sie zerknüllte die Überreste des Taschentuchs und steckte sie in die Tasche ihrer Strickweste. »Bei … bei seiner Beerdigung habe ich Frieder gefragt, ob er nicht auch Angst davor hätte, und ich habe ihm gesagt, dass sie alle auf sich aufpassen sollten.«
Möhrs’ Wissen um die wirtschaftliche Lage und die weitere Zukunft des Kraftwerks, das er sich aus Artikeln im ›Kurier‹ angeeignet hatte, war gerade umfangreich genug, um vorherzusehen, wie Doris Frigges Bedenken wahrscheinlich begegnet worden war. »Und dann hat Ihnen Frieder Jakobs gesagt, dass sich die Techniker und leitenden Angestellten im AKW darüber keine Sorgen machen müssen, weil so ein Rückbau eventuell mehrere Jahrzehnte dauert. Jedenfalls lange genug, bis Ihr Mann in Rente gewesen wäre.«
»Genau.« Sie nickte. »Und dann habe ich mir noch mal Gedanken gemacht. Mir das Hirn darüber zermartert, was meinen Mann so unter Druck gesetzt hat, dass er unvorsichtig wurde.«
»Ihnen ist die Sache mit dem Foto und der Frau eingefallen«, kombinierte Möhrs.
»Ja. Es hat mir keine Ruhe gelassen.« Sie nestelte nervös an einem der dreieckigen Knöpfe ihrer Bluse. »Ich bin sogar damit zu Frieder gegangen. Er wollte nichts davon hören.«
»Wann war das?«, fragte Möhrs, auch wenn ihm so war, als würde er die Antwort bereits kennen.
»Letzten Dienstag. Ich bin erst zu ihm nach Hause gefahren, aber er war nicht da«, sagte sie. »Das war ja auch dumm von mir. Es war Dienstag.«
Nüchtern verbuchte Möhrs den zweiten Erfolg, den ihm sein Besuch bei ihr eingebracht hatte. Die Unbekannte, mit der Frieder Jakobs in der Mordnacht gesehen worden war, war keine Unbekannte mehr. Sie saß ihm gegenüber. »Also sind Sie zum ›Postillion‹. Zur Skatrunde.«
»Nicht zu allen.« Ein Kopfschütteln. »Ich wollte nur zu Frieder. Ich habe im Auto gewartet, dass er zum Rauchen vor die Tür kommt.«
»Warum sind Sie nicht hineingegangen?«
»Das ging nicht. Nicht vor allen Leuten«, sagte sie verschämt. »Und Frieder war außerdem derjenige von ihnen, mit dem man am besten reden konnte.«
»Und wie hat er auf Sie reagiert?«
»Ausweichend.« Der Schärfe in ihrem Ton nach zu urteilen, saß die Kränkung über die Zurückweisung tief. »Dass er mir nicht sagen kann, was damals wirklich war. Dass es besser ist, wenn ich nichts Genaues darüber weiß.«
Möhrs überspielte seine eigene Enttäuschung mit einem freundlichen Nicken. Doris Frigges Aussage in diesem Zusammenhang deckte sich mit der der Kellnerin, die das Gespräch zwischen ihr und Frieder Jakobs unfreiwillig belauschthatte. Schade. »Sie haben mir sehr geholfen, Frau Frigge.«
Er trank seinen Tee aus und stand auf.
Sie blieb sitzen und schaute zu ihm hoch. »Glauben Sie, er hat sie … dass sie tot ist?«, fragte sie leise. »Glauben Sie, mein Mann war ein Mörder?«
Möhrs nutzte die Gelegenheit, ihr ein wenig Trost zu spenden. »Nein, das glaube ich nicht.«
Die Dankbarkeit, mit der sie die Hände faltete und den Blick zur Decke richtete, trieb ihn rasch aus dem Haus. Er
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