Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
erklären noch leicht zu verstehen. »Ihr geht es wie dir. Wie uns allen. Da werden alte Wunden aufgerissen. Aber sie ist zäh. Eine tapfere kleine Zinnsoldatin. Das brauche ich dir nicht zu erzählen.«
»Ich habe nachgedacht, Bernd. Wegen der Sache mit Frieder. Dass man nie weiß, wie lange man noch lebt. Dass von jetzt auf nachher alles vorbei sein kann.« Ihre Stimme wurdeso leise, dass er sich sein Telefon fester gegen das Ohr presste. »Was ist, wenn einer von uns beiden stirbt? Oder wir beide zusammen? Wenn ich bei dir im Auto sitze und jemand in uns reinfährt. Was dann? Wer sagt ihr dann die Wahrheit?«
»Für mich hat sich nichts geändert. Wir hatten uns darauf geeinigt, weil es die sinnvollste Lösung ist.« Bernd hatte das Gefühl, seinen besten Freund ein zweites Mal zu verraten, doch was damals richtig gewesen war, konnte heute nicht falsch sein. Thomas hätte die Sache haargenau so gesehen. »Es ist besser für uns alle, wenn sie die Wahrheit nie erfährt.«
74
Der bullige Taxifahrer vom Vortag war sichtlich darüber erfreut, dass sich Katja an ihn erinnerte und seine Dienste noch einmal in Anspruch nahm. Er rümpfte selbst dann nicht die Nase, als sie ihren halbgeschmolzenen Schokoriegel bei ihm im Auto aß. Beim Absetzen an der Einfahrt zu Thies Lüdersens Hof fragte er sie sogar, ob er nicht gleich an Ort und Stelle auf sie warten sollte.
»Besser nicht«, antwortete sie ihm. »Ich habe keine Ahnung, wie lange das hier dauert.«
»Sie wissen, Sie können mich ruhig anrufen, sobald Sie fertig sind«, erinnerte er sie eilfertig. »Sie haben ja meine Nummer.«
Sie verabschiedete sich mit einem Lächeln und einem Winken, um danach den kurzen Schotterweg zu einem Gebäude hinunterzuschlendern, das aussah, als wäre es durch ein Zeitloch gefallen. Die Fachwerkwände des zweistöckigen Baus waren bis hinauf über die Regenrinne von Efeu, wildem Wein und Brombeerranken überwuchert. Das Dach war an einigen Stellen derart auffällig gewellt, dass die Stützkonstruktiondarunter teilweise nachgegeben haben musste, und hier und da fehlten auch Schindeln. An den Fensterrahmen zeugten nur noch letzte Reste von brüchigem Lack davon, dass sie einmal grün gestrichen gewesen waren. Trotzdem gab das Haus für Katja kein Bild des unaufhaltsamen Zerfalls ab. Es erweckte eher – vielleicht auch dank des strahlenden Sonnenscheins – den idyllischen Eindruck eines Überbleibsels aus einer vergangenen Epoche, in der die Welt noch weniger hektisch und nicht so sehr auf den schönen Schein einer makellosen Oberfläche versessen gewesen war. Beinahe alles hier fügte sich ganz wunderbar in dieses Bild. Die windschiefe Scheune, deren Tor mit einem einfachen Balken verriegelt war. Der große Misthaufen daneben, in dem tatsächlich auch eine Mistgabel steckte. Der von einem Drahtzaun umschlossene Hühnerstall mit der Trittleiter, vor der fette Hennen im sandigen Boden nach leckeren Würmern scharrten. Der hohe Baum mit dem mannsdicken Stamm, unter dessen ausladender Krone eine kleine Herde Ziegen graste. In der Luft lag unter der dominanten Note von Dung das schwache Aroma von frisch Geräuchertem.
Nur zwei Details störten Katja. Das eine stach als paradoxer Anachronismus heraus, da es offensichtlich aus der Moderne stammte: das handgemalte Schild neben der Tür, auf dem »Frische Bioeier« geschrieben stand. Das andere zog aus dem genau entgegengesetzten Grund Katjas Aufmerksamkeit auf sich: Das Zelt zwischen Hühnerstall und dem Baumriesen wirkte zu urtümlich, fast so, als hätte ein Bauer vor einhundertfünfzig Jahren überraschenden Besuch von einem Nomadenvolk aus der Steppe erhalten. Seine Außenhülle bestand aus gegerbten Lederstücken, die mit einer bröckelnden Lehmschicht überzogen waren. Neben einer halbrunden Öffnung, über der eins der Lederstücke wie eine Decke fürs Marschgepäck zusammengerollt war, steckten links und rechts zwei erloschene Pechfackeln im Boden. Katja vermutete, dass das eigentümliche Zelt in irgendeinemZusammenhang mit den religiösen Überzeugungen seines Besitzers stand, was immerhin eine Erklärung, aber letztlich keine Beruhigung darstellte. Die Beklemmung, gegen die sie gestern im Wald auf dem Weg zum Hünengrab schon einmal angekämpft hatte, meldete sich zurück, als sie auf das Haupthaus zuging. Was, wenn die Person, die ihr die tote Amsel hatte zukommen lassen, sie heimlich verfolgt hatte und Thies Lüdersen am Ende gar nicht daheim war? Dann wäre jetzt noch so ein
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