Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
Vorbesitzerin des »Hirschhofs« der Teufel an der großen Eiche draußen hinterlassen hatte, zusammen mit blutverschmierten Hörnern.
»Uruz« stand unter der Rune.
Bernd legte das Buch beiseite, stand auf und studierte die Titel seiner im Kaufrausch zusammengestellten Fachbibliothek. Er hatte eine Gänsehaut, aber noch war er bereit, an einen Zufall zu glauben. »Mist!« Drei Kartons dicke Schwarten, aber nichts über nordische oder germanische Mythologie. Er fuhr seinen Rechner hoch, wählte sich in dasörtliche W-LAN ein, das Veronika ihren Gästen freundlicherweise anbot, und googelte »Uruz«. Kein Zweifel. Das war das Symbol, das er fotografiert hatte. Er googelte noch einmal. »Uruz« und »Neuheiden«. Der dritte Link, dem er folgte, bot einen kleinen Text – grün auf schwarzem Hintergrund –, bei dessen Lektüre ihm der Schweiß ausbrach.
Das Ur in Uruz ist ein klarer Verweis auf die Urrinder, die in alten Zeiten durch die dichten Wälder des heutigen Deutschlands streiften, jene imposanten Geschöpfe, die man später Auerochsen nannte und die noch weit bis in die Neuzeit in letzten Rückzugsgebieten vereinzelt anzutreffen waren. Indizien weisen darauf hin, dass unsere Ahnen diese Tiere als Symbole der Kraft, der Potenz und der unerbittlichen Durchsetzungskraft verehrten. Überlieferungen zufolge pflegten sie ein Ritual, in dem junge wie alte Recken ihre Fähigkeiten bewiesen, indem sie einen Auerochsen allein zur Strecke brachten und sein Gehörn vor einem heiligen Baum ablegten. Bisweilen soll diese Zeremonie auch dazu gedient haben, den Anspruch auf neue Besitztümer zu untermauern oder Aggressionen und Angriffslust in geordneten Bahnen auf ein bestimmtes Ziel hin zu lenken.
»Dieser Irre«, flüsterte Bernd. »Dieser verdammte Irre.«
Er glaubte, genau zu wissen, was die alte Frau damals gesehen hatte. Nicht den Teufel. Nur diesen durchgeknallten Bauern vom Nachbargrundstück, der einen der lächerlichen Bräuche seiner noch lächerlicheren Religion zelebriert hatte. Es passte alles. Wahrscheinlich war er schon ewig auf das Land scharf gewesen, das jetzt Veronika gehörte. Warum, das wusste nur Lüdersen allein. Vielleicht, weil die mächtige Eiche in seinem verqueren Denken einen Ort markierte, an dem besonders viel Erdenergie gebündelt wurde oder irgend so ein Unfug.
Bernd schluckte schwer. Wer so krank war, alte Frauen einzuschüchtern und eine Rune in einen Baumstamm zu kratzen, dem war es auch zuzutrauen, Runen in die Stirnwehrloser Opfer zu ritzen. Und Katja war auf dem Weg zu diesem Mann!
Er griff nach seinem Handy und wählte ihre Nummer. Während er ungeduldig darauf wartete, dass eine Verbindung zustande kam, fiel sein Blick auf Katjas Nachttisch. Alles um ihn herum begann sich zu drehen, schneller und schneller, mit dem kaputten Smartphone als unverrückbarer Achse.
89
Auf der kurzen Strecke zum Hof von Thies Lüdersen hatte Katja gar nicht die Gelegenheit, den Jaguar voll auszufahren. Ihr blieb jedoch die Zeit, sich zu fragen, ob sie Bernd eben belogen hatte, als er wissen wollte, wovon sie letzte Nacht geträumt hatte. Streng genommen ja. Ihr Vater hatte eine Rolle gespielt. Und Bernd selbst. Obwohl sich Katja in diesem Punkt noch nicht ganz sicher war. Schauplatz des Traums war die Wohnung ihrer Mutter in Hamburg-Wandsbek gewesen. Die neunzig Quadratmeter auf vier Zimmer, Küche und Bad verteilt, in denen sie den Großteil ihrer Kindheit und Jugend verbracht hatte. Katja stand auf dem Flur vor der geschlossenen Wohnzimmertür und hörte die Stimme ihres Vaters, der mit einem anderen Mann in einen Streit verwickelt war. Die Beteiligten sprachen vehement, aber leise. Es war eine der Auseinandersetzungen, bei denen man unerwünschte Lauscher befürchtet. Oder Angst davor hat, die Welt könnte aufs Schrecklichste zurückschlagen, wenn man ein Geheimnis in sie hinausschrie, das sie nie hatte hören wollen. Katja hatte durchs Schlüsselloch gelinst. Ihr Vater saß von ihr abgewandt, den Rücken gekrümmt, und stieß Verwünschung um Verwünschung aus. Ihm gegenübersaß ein anderer Mann in einer ganz ähnlichen Haltung. Er hatte das Äußere von Bernd, und er rauchte auch wie Bernd, wenn er besonders nervös war. Lange Züge, als wäre jeder der letzte, die Augen leicht zusammengekniffen, um sie vor dem Rauch zu schützen, der aus der immer schneller an den Filter heranrückenden Glut aufstieg. Aber wenn der Mann redete – und er redete schnell und viel –, war es nicht mit Bernds
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