Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
Schwager zu einem Mann, den ich dringend befragen sollte?«
Sie holte die Handschuhe unter ihrer Achsel hervor und warf sie achtlos vor sich auf den gläsernen Couchtisch. »Kennen Sie sich damit aus, wie das Innenverhältnis zwischen einem Schichtleiter und seinem Stellvertreter aussieht?«
»Nein.«
»Sie müssen sich blind verstehen«, erklärte Saalfeld. »Der eine muss immer ganz genau wissen, wie der andere denkt. Wie er sich in bestimmten Situationen verhält. Mindestens einer von ihnen muss während der Schicht immer in der Warte bleiben.«
»Warte?«
»Die Schaltzentrale des Kraftwerks. Der Ort, von wo aus die gesamte Reaktoranlage überwacht wird. Wo bei einemStörfall die Entscheidungen getroffen werden.« Sie senkte die Stimme. »Sie müssen sich das mal vorstellen. Zwei Männer entscheiden im Ernstfall darüber, ob sie bewusst Radioaktivität in die Umwelt entweichen lassen oder nicht. Natürlich nur, um eine größere Katastrophe abzuwenden. Zwei Männer legen fest, ob draußen Tausende Menschen verstrahlt werden.«
Möhrs hatte nicht die geringste Ahnung, ob dem tatsächlich so war oder ob in den Fällen, die Saalfeld da andeutete, noch einmal Rücksprache mit einem Verantwortlichen außerhalb des Kraftwerks gehalten wurde. »Sie waren dabei, mir zu erklären, warum ich Ihren Schwager vernehmen sollte.«
»Ich will es kurz machen.« Sie faltete die Hände wie zum Gebet. »Der Schichtleiter und sein Stellvertreter funktionieren wie ein altes Ehepaar.«
Möhrs wartete einen Moment, ob noch mehr kam. »Und?«
»Bei den meisten Morden kommt der Täter doch aus dem direkten Familienumfeld, oder liege ich da falsch?« Sie beugte sich weit nach vorne, um auf die Wanduhr im Flur zu sehen. Dann stand sie auf. »Ich befürchte, Ihre fünf Minuten sind um.«
14
Während ihres gesamten Besuchs des AKWs Güstrin versuchte Katja ernsthaft, den Rat zu beherzigen, den ihr Bernd gegeben hatte: »Reißt du dich diesmal ein bisschen mehr zusammen? Wenn du da drin so austickst wie bei der Saalfeld, ist es mit einem Rausschmiss nicht getan. Die holen die Bullen.«
Zugegebenermaßen war es keine allzu große Herausforderung,an diesem Ort die Contenance zu wahren. Schon im Besucherinformationszentrum – einem runden einstöckigen Betonbau auf einer begrünten Anhöhe hundert Meter vom Elbufer entfernt – begegnete man ihr mit mehr als professioneller Höflichkeit. Den beiden Mitarbeitern dort war nicht entgangen, dass sie es heute mit der Nichte ihres verstorbenen Kollegen zu tun hatten. Der eine, Bogdan Simovic, hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit einem in Würde gealterten Winnetou-Darsteller der Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg. Die andere, Claudia Kühne, gehörte zu jenen Frauen, die ihren Charme aus elegantem Understatement in der Kleidung und einer Aura völliger Gelassenheit zogen.
Bei Kaffee und Kuchen erhielten Bernd und Katja eine kurze Vorstellung des Kraftwerkbetriebs in Form einer Kombination aus Powerpoint-Präsentation und Infofilm. Katja fiel sofort auf, dass das Informationszentrum technisch hervorragend ausgestattet war: Der Beamer senkte sich automatisch aus der Deckenverkleidung herab, und sowohl die Leinwand als auch die Blendjalousien dahinter glitten selbsttätig in die für die Lichtverhältnisse optimale Position. Katjas Erinnerungen an die Uni waren noch frisch genug, dass sie einen Anflug von Neid verspürte. Es hätte Dozenten gegeben, die für vergleichbare Seminarräume an ihrem Institut eine ihrer Nieren verkauft hätten. Doch wo an der Uni die Pfennigfuchser das Sagen hatten, schien hier im AKW Geld keine Rolle zu spielen.
Aus Simovics routiniertem, aber keineswegs humorlosem Vortrag nahm Katja eine wesentliche Erkenntnis darüber mit, wie die meisten Leute aus dem Kraftwerk offenbar tickten: Sie sahen durchaus die gleichen Risiken und Probleme beim Betreiben eines Reaktors wie die eingefleischten Gegner der Atomenergie. Bei ihrer abschließenden Beurteilung der Gefahrenlage gelangten sie allerdings zu anderen Schlüssen.
Ja, zur Kühlung des Reaktors floss über den dicken Daumengerechnet ein Zehntel des gesamten Wassers der Elbe durch die Anlage und wurde dabei selbstverständlich messbar erwärmt. Aber welche Form der modernen Energiegewinnung setzte schon keinerlei Eingriffe des Menschen in die Umwelt voraus?
Korrekt, das Reaktorgebäude würde zwar sogar dem Einschlag eines mittelgroßen Passagierjets wie einem Airbus-A320 allen Berechnungen und Simulationen zufolge
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