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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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versunken. Durch die erleuchteten Fenster beobachtete er, wie der junge Kramer sich einen Weinbrand einschenkte, die Post durchsah, dann in ein Zimmer ging – wahrscheinlich das Badezimmer –, wie er im Schlafanzug herauskam, sich in ein anderes Zimmer – wahrscheinlich das Schlafzimmer – begab und das Licht löschte.
    Für Horatio war es jetzt Zeit, ins Auto zu kriechen und ebenfalls ein wenig zu schlafen. Er hatte keine Angst, den jungen Kramer am nächsten Morgen zu verpassen. Er war schwarz und arm, hatte gelernt, nicht von Dingen abhängig zu sein, sondern auf sich und sein Gespür zu bauen, und das würde er auch in dieser Nacht tun.

Zwanzigstes Kapitel
    R uth biss die Zähne aufeinander, um das Zittern zu unterdrücken. Ihre Hände fühlten sich feucht und klebrig an, ihre Kehle war wie ausgedörrt. Auch Margaret Salden wirkte unruhig. Sie war noch bleicher geworden, die Ringe unter ihren Augen dunkler. Sie stöhnte leise auf.
    »Was ist mit dir?«, fragte Ruth.
    »Meine Arme. Die Schultern tun mir weh. Ich wünschte, ich könnte die Fesseln endlich loswerden.«
    »Gleich. Gleich ist alles vorbei«, versuchte Ruth sie zu trösten, doch sie glaubte selbst nicht daran.
    Sie sah zum Autofenster hinaus. Henry Kramer hatte die Hütte des Bootsverleihs gerade verlassen und kam, eine Taucherausrüstung in der Hand, auf den Wagen zu.
    Ihm folgte ein schwarzer Junge, der eine Sauerstoffflasche schleppte.
    Ruth sah in den Himmel, der klar und blau über dem Meer hing. Sie suchte nach Wolkenfetzen, nach Hinweisen, ob sich das Wetter halten würde, und fragte sich zugleich, ob sie diesen Himmel heute zum letzten Mal sehen würde. Sie bedauerte es, so vielen Dingen in ihrem Leben so wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Sie würde sich von niemandem verabschieden können, würde Mama Elo und Mama Isa nie mehr sagen können, wie sehr sie sie liebte. Und sie würde Rose nicht wiedersehen. Ob die Mutter an ihrem Grab wohl weinen würde?
    Ruth hätte ihrer Mutter gerne noch gesagt, dass Margaret sie so sehr geliebt hatte, dass sie sie genau aus diesem Grund weggegeben hatte: damit Rose leben konnte. Es gab eine Liebe, die so groß war, dass das Schicksal des anderen schwerer wog als das eigene. Margaret hatte es bewiesen. Rose hatte keinen Grund mehr, traurig zu sein, sich verlassen und verstoßen zu fühlen. Nur wenige Menschen wurden so geliebt, wie sie geliebt worden war, und es wurde Zeit, dass Rose das erfuhr. Vielleicht wurde dann der Rest ihres Lebens glücklicher.
    Auch hätte sich Ruth gerne noch mit Corinne versöhnt. Sie wollte ihr sagen, dass sie nun wusste, wie schön Kleider machen konnten, und sie würde sie bitten, gut auf die Mutter achtzugeben. Rose brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte. Sie war so allein, war immer allein und einsam gewesen, trotz ihrer Familie, trotz der Freunde.
    Doch dafür war es vielleicht schon zu spät. Sie würde nachher in diesen Taucheranzug steigen und sich hinab ins Meer stürzen müssen. Ruth war schmerzlich bewusst, dass sie keine Chance hatte, den Diamanten zu finden. Und ihre Handgelenke waren blutig gescheuert. Es konnte durchaus sein, dass dies die Haie zusätzlich anzog. Ob es sehr wehtat, von einem Hai gebissen zu werden?
    Ruth hoffte, dass sie in diesem Fall schnell das Bewusstsein verlöre. Sie könnte sich auch die Atemmaske vom Gesicht reißen, dann würde sie ersticken, ertrinken. War das besser, als von Haien zerrissen zu werden? War es weniger schmerzhaft? Sie hätte gern gebetet, aber das Vertrauen in Gott war ihr während der letzten Tage abhandengekommen. Und wenn sie sich wie die Nama an die Ahnen wenden würde? Ruth überlegte und schloss dann für einen Moment die Augen, um zu ihrem Großvater Wolf Salden zu sprechen. Wenn es keine Chance mehr gibt, dann hole du mich , flehte sie still . Mach schnell, versprich es mir!
    Ein Knall riss sie aus ihren Gedanken. Der schwarze Junge hatte die Sauerstoffflasche auf die Ladefläche geworfen.
    Henry Kramer warf den Taucheranzug hinterher und stieg ins Auto. »Das Meer ist sehr ruhig heute.« Er wandte sich zu den beiden Frauen um. »Ihr habt Glück. Erst am Mittag sollen Sturmböen aufkommen. Betet zu Gott, dass ihr bis dahin fertig seid.« Dann seufzte er und startete den Wagen. Als der nicht gleich ansprang, schlug Kramer wütend auf das Lenkrad ein. »So eine Scheiße, so eine gottverfluchte Scheiße!«
    Ruth und Margaret sahen sich an. Es war nicht zu übersehen, dass Kramer mit den Nerven am Ende

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