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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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erloschene Feuerstelle gesessen und zu den Ahnen gebetet, darum gefleht, dass die weiße Frau noch am Leben war. Die weiße Frau, die ihren Kindern lesen und schreiben und rechnen beigebracht hatte. Die weiße Frau, die dafür sorgte, dass die Frauen von ihren Männern nicht geschlagen wurden, die sich um die Post kümmerte, um Behördengänge, die Streitigkeiten schlichtete und schon so manchem das Leben gerettet hatte, indem sie in Lüderitz Medikamente in einer Apotheke einkaufte oder die Mütter so lange drängte, bis sie mit ihren Kindern zu einem Arzt gingen.
    Nie hatte die weiße Frau für alle ihre Taten eine Gegenleistung verlangt. Sie hatte mit ihnen gegessen, mit ihnen getrunken, mit ihnen gelacht, geweint, gelebt, getrauert. Sie war eine von ihnen. Wenn es möglich gewesen wäre, so hätten die Nama die weiße Frau schwarz gefärbt, damit sie auch äußerlich zu ihnen gehörte. Jetzt aber war sie fort, und es schien den Nama, als wäre der gute Geist ihrer Siedlung abhandengekommen. Manchmal stimmte einer von ihnen ein Lied an, doch schon nach wenigen Takten brach er ab. Einer der Männer stand auf, griff nach einem Pfeil, lief damit ziellos im Kreis herum und setzte sich schließlich wieder. Das Merkwürdigste aber war, dass die Kinder an diesem Tag nicht spielten, nicht tobten. Sie saßen still neben ihren Müttern, kratzten hin und wieder mit einem Stöckchen im Sand; jede Fröhlichkeit war von ihnen gewichen. Stumm saßen sie bei ihren Müttern, hörten auf das, was die Erwachsenen sagten, erhofften sich womöglich Rat, doch niemand war da, der Rat wusste. Ein kleines Mädchen begann schließlich zu weinen, die anderen Kinder stimmten ein, und für kurze Zeit war ihr Wehklagen weit über die Sanddünen zu hören.
    Horatio brauchte lange, um in Erfahrung zu bringen, was geschehen war. Er hörte von der jungen weißen Frau und erfuhr, was Charly beobachtet hatte. Und obwohl David müde war und gerne eine Nacht lang in der Oase geblieben wäre, drängte Horatio ihn, sofort zurück in die Stadt zu fahren. Er war froh, dass die Nama dem wütenden jungen Mann, der noch immer so sehr um seine Großmutter trauerte, gezeigt hatten, dass die Saldens keine Feinde der Schwarzen waren. »Es ist möglich, dass ich mich getäuscht habe«, hatte David auf der Rückfahrt eingeräumt und den Rest des Weges gedankenversunken auf die Straße vor sich geschaut.
    Als Horatio endlich zurück in der Stadt war, tat ihm jeder Knochen im Leibe weh. Er war müde, zerschlagen, hungrig, durstig und dreckig. Erst als er erfuhr, dass Ruth in die Pension zurückgekehrt war, kehrten die Lebensgeister in ihm zurück.
    »Wo ist sie?«, drängte er die Pensionswirtin.
    »Woher soll ich das wissen? Sie muss sich bei mir nicht abmelden.«
    Horatio sah die Wirtin prüfend an und schob dann einen Geldschein über die Theke. Die Frau nahm den Schein und steckte ihn in den Spalt zwischen ihren Brüsten. »Der Mann war da. Der, der schon öfter hier war. Er hat ihr einmal Rosen geschickt. Er kam auch, als sie nicht da war, verlangte von mir den Schlüssel zu ihrem Zimmer. Den Schlüssel zu ihrem Zimmer! Stellen Sie sich das mal vor! Wo kämen wir denn da hin, wenn ich jedem, der fragt, einfach die Zimmerschlüssel anderer Leute geben würde! Ich habe mich gefragt, ob es klug wäre, dem Mädchen davon zu erzählen. Wer schon vor der Ehe so eifersüchtig ist, dass er die Liebste kontrollieren will, was tut er dann erst, wenn er verheiratet ist? Aber dann habe ich den Mund gehalten. ›Inge‹, habe ich mir gesagt, ›die junge Frau ist alt genug. Misch dich nicht ein.‹ Das habe ich nämlich noch nie getan. Der Tod für mein Unternehmen wäre das. Das Hotelgewerbe besteht durch seine Verschwiegenheit. Die Schwatzhaften sind die Ersten, die Pleite machen.«
    »Ja, ja«, drängte Horatio erneut. »Ich schätze Ihre Diskretion sehr, aber um des Herrgotts willen verraten Sie mir endlich, wo sie jetzt steckt. Es könnte sein, dass sie in Schwierigkeiten ist.«
    »Ist sie schwanger?«
    »Was?«
    »Ich fragte, ob die junge Frau womöglich schwanger ist. Immerhin hat sie sich neulich die Seele aus dem Leib geko … äh … erbrochen. Ich konnte gar nicht hinhören. Das gibt es ja oft, dass ein junges Mädchen seine Tugend so einfach herschenkt, und dann hat sie ein Kind am Hals, ehe sie es sich versieht.«
    »Nein, die Art von Schwierigkeiten meine ich nicht. Also, wissen Sie nun, wo sie ist?«
    Die Pensionswirtin schüttelte den Kopf. »Steht denn ihr

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