Das Feuer der Wüste
gepflegt.
»Stopp. Wir sind da. Da vorne ist es«, erklärte Horatio, als sie in Sichtweite eines Hauses waren, in dessen Vorgarten ein karger Strauch mit schwarzen Bändern geschmückt war.
Ruth parkte den Dodge ein wenig die Straße hinunter, dann betrat sie gemeinsam mit Horatio das Trauerhaus. Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich, weil sie die Frau, um die hier getrauert wurde, so wenig gekannt hatte. Auf einmal wusste sie nicht mehr, was sie hier wollte. Sie war nur zufällig da gewesen, als Davida gestorben war, und es schien ihr plötzlich unpassend, in einem solchen Augenblick des Abschiednehmens Fragen nach ihrer Großmutter zu stellen – auch wenn die Tote deren Namen in ihren letzten Worten genannt hatte. Sie wollte sich schon abwenden und zurück zum Auto gehen, um dort auf Horatio zu warten, als eine alte Schwarze mit dünnen grauen Löckchen, zahnlosem Mund und rotgeweinten Augen ihre Hand mit beiden Händen fasste.
»Ich danke Ihnen«, sagte die Frau. »Ich danke Ihnen, dass Sie in den letzten Minuten ihres Lebens bei meiner Schwester waren und sie nicht ganz allein gewesen ist.« Die Frau weinte, wischte die Tränen an ihrem Kleid ab, dann nahm sie eine Brille von der hölzernen Kommode, setzte sie auf die Nase – und starrte Ruth an, als sähe sie einen Geist vor sich.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte Ruth. »Kann ich etwas für Sie tun? Ein Glas Wasser holen vielleicht?«
Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Der Geist der Toten hat mir ein Bild geschickt«, flüsterte sie mehr zu sich als zu Ruth. Sie ließ deren Hand los und ging rückwärts davon, den Blick noch immer auf die Weiße geheftet.
Diese Schwarzen mit ihrem Aberglauben, schoss es Ruth durch den Kopf. Plötzlich überkam sie Heimweh. Sie dachte an Rose, die sich immer über die Schwarzen lustig machte, über deren Aberglauben und ihren Gott des Feuers, über die Hochachtung, mit der Santos und die anderen Farmarbeiter die Rinder behandelten – meist besser als ihre Frauen. Aber so war es nun mal: Rinder waren den Namas heilig. So heilig, dass sich der Häuptling bei seinem Tod in eine Rinderhaut wickeln ließ. Und dann die ganzen Geister! Für jeden Anlass einen Geist, der ihnen entweder gut oder schlecht gesonnen war.
Der Geist der Toten hat mir ein Bild geschickt. Ruth hätte am liebsten aufgelacht, doch in den letzten Tagen war zu viel geschehen, das ebenso unglaublich war und das das Lachen in ihre Kehle zurückpresste. Sie seufzte daher nur, nahm sich einen kleinen Zuckerkuchen und suchte dann nach Horatio. Sie sah ihn von Weitem. Er stand im Garten, sprach mit anderen offensichtlich befreundeten Schwarzen, wedelte dabei mit den Armen. Er hielt den Kopf wie ein Vogel nach vorn, sodass seine Nase beinahe ins Gesicht seines Gesprächspartners pickte.
Ruth konnte nur Bruchstücke von dem verstehen, was die Männer sagten. Doch zwei Worte verstand sie genau: vuur , das afrikaanse Wort für »Feuer«, und das deutsche Wort »Wüste«.
Sie war nur noch wenige Schritte von den Männern entfernt, als einer von ihnen sich umwandte. Er erblickte sie sofort, und im gleichen Moment verschloss sich sein vorher so freundliches Gesicht, nahm beinahe feindselige Züge an.
»Störe ich?«, fragte sie.
Der Schwarze schüttelte den Kopf. »Wir waren sowieso fertig.« Er nickte in ihre Richtung: »Miss!«, und ging davon. Die beiden anderen Schwarzen folgten ihm.
»Worüber haben Sie gesprochen?«, fragte Ruth.
Horatio sah den Männern nachdenklich hinterher. »Nichts Wichtiges. Ich habe sie nur nach ihren Großeltern gefragt.«
»Wegen des Nama- und Hereroaufstands?«
Horatio nickte. »Es wäre ja möglich, dass sie noch leben und mir etwas darüber sagen können.«
Am Abend sah Ruth zu, wie sich die Schwarzen um ein Feuer versammelten, das für sie ein heiliges war. Sie saß am Rande des Kreises, lauschte den fremden Gesängen, den fremden Beschwörungen. Es war, als wäre sie in ein fremdes Leben geraten, das mit ihrem auf geheimnisvolle Weise verbunden war. Sie wollte nicht hier sein und wollte es doch, fühlte sich fremd und geborgen zugleich.
Es dauerte, bis das Feuer erloschen und Davida Oshohas Seele im Himmel bei den Ahnen angekommen war. Erst jetzt brachen die Gäste nach und nach auf, verabschiedeten sich wortreich voneinander. Auch Ruth erhob sich. Sie ging langsam um die erloschene Feuerstelle herum und setzte sich neben Davidas Bruder, einen alten Schwarzen mit wenigen grauen Haaren. Er hatte sie über das Feuer
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