Das Feuer der Wüste
Baum. Einmal blieb der Dodge stecken, und Ruth musste Zweige und Bretter unterlegen, um ihn aus dem Schlammloch herauszubekommen.
Als sie endlich die geteerte Straße in Gobabis erreicht hatte, begab sie sich in den nächsten Take-away, wusch sich Hände und Gesicht, zog ihre schwarze Stoffhose und eine weiße Bluse an und kam gerade noch rechtzeitig zum Bahnhof, um zu sehen, dass Horatio aus der Halle kam. Er lief leicht gebeugt, als wolle er sich kleiner machen. In der rechten Hand trug Horatio eine schwarze Tasche aus Kunstleder, mit dem Zeigefinger der linken schob er alle Augenblicke seine Brille hoch. Mitten auf dem Vorplatz blieb er stehen und sah sich nach allen Seiten um.
Ruth musste lächeln. Horatio war zwar schwarz, aber dennoch konnte jeder sehen, dass er ein Städter war. Unter all den Passanten war er der Einzige, der Stoffhosen und ein Hemd trug, der Einzige ohne derbe Stiefel und Cowboyhut. Sie kurbelte das Fenster runter, drückte auf die Hupe und rief seinen Namen. »Horatio! Horatio! Hier!«
Als er sie entdeckt hatte, lächelte er und winkte ihr zu. Dann eilte er mit langen Schritten zum Wagen, warf seine Tasche lässig nach hinten und stieg ein. »Hey, wie geht es Ihnen?«, fragte er. »Hatten Sie eine gute Zeit?«
Ruth brach in Gelächter aus.
»Was ist los?«, fragte Horatio.
»Sie reden wie der Pfarrer in der Kirche«, erwiderte sie. »Aber ja, ich hatte eine gute Zeit, wenn man das Wühlen im Schafsmist als gute Zeit bezeichnen kann. Und Sie?«
Horatio hüstelte. »Ich war damit beschäftigt, die Hinterbliebenen der anderen Opfer zu besuchen. Ich habe viele Tränen gesehen.«
»Oh.« Ruth verstummte. Ihr Leid, vaterlos und ungewollt zur Welt gekommen zu sein, verblasste angesichts der Tragödie, die sich in Windhoek abgespielt hatte. »Fahren wir?«, fragte sie dann.
Horatio nickte. »Fahren wir.«
Schweigend legten sie die ersten Kilometer auf einer Pad zurück, auf die Horatio sie dirigiert hatte. Nur einmal wurden sie von einem quer liegenden dürren Baum gestoppt, der seine verdorrten Äste anklagend in den Himmel streckte. Ruth seufzte. Es gab nur so wenige Bäume in ihrem Land, und zu jeder Regenzeit wurden es noch ein paar weniger. Bald würde die Sonne wieder mit ungebremster Kraft vom Himmel brennen, und die Tiere würden noch weniger Schatten finden. Sie trauerte um jeden Baum, um jedes Tier, das in diesem trockenen Land ums Leben kam. Es hieß wohl nicht ohne Grund, Gott habe Namibia im Zorn erschaffen. Fremde hielten das Land wegen der extremen Temperaturen, der seltenen Regenfälle, der kargen und staubigen Landschaft, die zum größten Teil aus Sand und Felsen bestand, für lebensfeindlich. Vier Wüsten zogen sich durch Namibia, und doch liebte Ruth jeden einzelnen Flecken des Landes. Nirgends waren der Himmel so blau, die Sterne so funkelnd, der Sand so vielfarbig, die Steine so unterschiedlich.
Horatio stieg aus, krempelte die Beine seiner grauen Stoffhose und die Ärmel seines weißen Hemdes hoch und machte sich an dem Baumstamm zu schaffen. Doch er bewegte das Holz um keinen Zentimeter.
»So geht das nicht«, stellte Ruth fest, die ihn mit verschränkten Armen beobachtete. Sie nahm das Seil von der Ladefläche, befestigte das eine Ende am Baum, das andere am Bakkie, und nach wenigen Augenblicken war die Straße frei. »Jetzt sehen Sie mich nicht so an«, blaffte sie Horatio an, der sie mit großen Augen ansah. »Im Busch ist das ganz normal, dass Frauen Arbeiten wie diese erledigen. Wenn wir jedes Mal warten würden, bis ein Mann auftaucht, wären wir längst ausgestorben. Hier kommt höchstens ein Auto pro Tag vorbei. Wenn es zwei sind, herrscht Rushhour.«
»Ich wollte Sie nicht beleidigen«, sagte Horatio sichtlich belustigt und stieg wieder ins Auto.
»Pff! Das haben schon andere versucht und nicht geschafft«, schnaubte Ruth, wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und trat so heftig auf das Gas, dass Horatio in den Sitz zurückgedrückt wurde.
Danach dauerte es nicht mehr lange, bis sie Wilhelmshorst erreichten. Das kleine Dorf – kaum mehr als eine riesige Farm – lag am Fuße eines Hügels. Eine winzige schmale Straße führte an den Steinhäusern der Eingeborenen vorbei ins Dorf. In dessen Zentrum gab es einen Pub, einen Gemischtwarenhändler mit angeschlossener Tankstelle und Autoreparaturwerkstatt und eine Hinweistafel mit den Daten der nächsten Viehauktionen im Umkreis von dreihundert Meilen. Die Häuser waren alt, aber
Weitere Kostenlose Bücher