Das Feuer der Wüste
zurückbehalten würde, das sie für immer an diesen Moment erinnern würde. Sie rannte. Fort, nur fort von diesem Ort.
Während Ruth lief, meinte sie die Blicke des Schwarzen in ihrem Nacken wie Stiche spüren zu können. Ich habe geahnt, dass ich hier nichts zu suchen habe, dachte sie. Und gleichzeitig wusste sie, dass die Entscheidung, hierherzukommen, richtig gewesen war. Atemlos erreichte sie die Straße, verlangsamte ihren Lauf und ging schließlich angemessenen Schrittes in Richtung ihres Autos. Dort traf sie auf Horatio. Er stand an den Pick-up gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, die Füße überkreuzt, und hatte offensichtlich schon auf sie gewartet. Sein weißes Hemd leuchtete in der Dunkelheit.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte er, als sie, noch immer keuchend, bei ihm stehenblieb, ihr wildes Haar im Nacken zusammennahm und es wieder mit einer Spange bändigte.
Ruth überlegte kurz, ob sie ihm von dem Fluch erzählen sollte. Am liebsten hätte sie ihm alles erzählt, ihr ganzes Leben, ihre Angst, einfach alles. Doch bevor die Worte aus ihr heraussprudeln konnten, hielt sie inne. Er war ein Nama und würde einer Weißen nicht glauben. Oder steckte er gar mit den anderen unter einer Decke? Hatte auch er sie heimlich verflucht? »Ich bin müde«, sagte sie daher nur. »Wir sollten uns langsam ein Plätzchen zum Schlafen suchen.«
Horatio nickte und stieg in den Bakkie, als gehöre er ihm. »Ich kenne in der Nähe ein gutes Fleckchen, nahe an einem Bach. Dort können wir übernachten.«
Ruth setzte sich ans Steuer, startete den Wagen und warf noch einen letzten Blick auf das Haus, in dem Davida Oshoha einst gelebt hatte. Dann fuhren sie in die Dunkelheit.
»Woher kennen Sie diese Gegend?«, fragte Ruth nach einer Weile.
»Das alles ist ehemaliges Namaland, das die Hereros erobert haben. Ich kenne es, weil ich das ganze Land kenne, weil ich dazugehöre. Zu diesem Land, zu diesem Volk.«
Etwas in seiner Stimme ließ Ruth aufhorchen. War es Trotz? War es Stolz oder Wehmut? »Und glauben Sie auch an die Wirkung von Flüchen, an den Gott des Feuers und all die anderen Dinge, an die die Namas glauben?«, fragte sie.
Horatio lächelte. »Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als wir ahnen«, sagte er. »Wenn Sie jetzt aber meinen, dass ich an Voodoo glaube oder daran, dass ein Mensch von den Göttern so viel Macht über andere Menschen bekommen hat, dass er sie vernichten kann, so irren Sie sich.«
»Also keine Flüche? Keine Nadeln in Puppen?«
»Nein, Ruth.« Er sah sie aufmerksam an, doch Ruth wich seinem Blick aus. »Sie müssen keine Angst haben, Ruth«, sagte er, als ahne er, was sie bewegte. »Die Religion der Schwarzen bewirkt nur so viel wie die Religion der Weißen. Ich bin nicht Ihr Feind.«
Später, das Zelt war aufgebaut, ein Lagerfeuer in einem Ring aus Steinen entfacht, saßen Ruth und Horatio nebeneinander im Veld. Ruth sah zum Himmel hinauf und suchte ihren Stern. Sie brauchte etwas, das ihr Trost spendete.
»Was wollen Sie nun machen?«, fragte Horatio leise. »Haben Sie erfahren, was Sie wollten?«
Ruth zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was genau ich erfahren habe. Ich kann es noch nicht richtig einschätzen, aber ich werde gleich morgen nach Lüderitz weiterfahren. ›Dort beginnen und enden alle Spuren‹, hat Davidas Bruder gesagt.«
Horatio nickte, nahm einen Stock und stocherte damit im Feuer herum. »Ich werde Sie begleiten«, erklärte er nach einer Weile mit fester Stimme.
Ruth stutzte. Ihr schien es, als stünde das für ihn schon lange fest. »Warum wollen Sie das? Was haben Sie mit meiner Familiengeschichte zu tun?«
»Nichts. Überhaupt nichts. Mein Interesse gilt auch nicht Ihnen und Ihrer Familie, sondern einzig meiner Arbeit. Lüderitz ist der Sitz des Diamond-World-Trust. Es gibt dort ein Archiv, zu dem ich als Historiker Zugang habe. Ich muss etwas recherchieren, und ich biete Ihnen bei Ihrer Suche meine Hilfe an. Ohne mich kommen Sie nicht in dieses Archiv. Dafür nehmen Sie mich mit an die Küste. Eine Zugfahrt würde viel zu lange dauern. Außerdem habe ich schon lange geplant, nach Lüderitz zu fahren.«
»Und warum wollen Sie mir helfen, wenn Sie an meiner Geschichte nicht interessiert sind? Im Übrigen muss man nicht mit dem Zug fahren; es gibt auch Busverbindungen.«
Horatio zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hängt das eine mit dem anderen zusammen. So wie alles mit allem zusammenhängt. Außerdem haben Sie eine von uns nicht
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