Das Feuer der Wüste
weniger ums Leben gebracht. Und ich möchte nicht, dass Ihnen etwas zustößt.«
Ruth sprang auf. »Ah! Jetzt verstehe ich!«, zischte sie erbost. »Es geht um Geld. Sie wollen den Stein. Sie allein. Für sich allein. Und wissen Sie was? Ihr ›Feuer der Wüste‹ ist mir ganz gleichgültig. Ich will nur mein Leben zurück, meine Vergangenheit und vor allem meine Farm.«
Neuntes Kapitel
R uth erzählte Horatio nichts von ihrer Begegnung mit dem alten Mann unter dem Köcherbaum, und sie schwieg auch über den schwarzen Chevrolet und die drei Männer. Horatio gab ebenfalls keine weitere Auskunft darüber, wie er den gestrigen Nachmittag und den Abend verbracht, mit wem genau er gesprochen hatte. Schweigend fuhren sie über die Pad.
Ruth war an diesem Morgen ganz besonders zeitig aufgestanden. Sie hatte vorgehabt, Horatio hier zurückzulassen und allein nach Lüderitz weiterzufahren. Doch als sie das Schützenhaus verließ, lehnte der Historiker bereits an ihrem Wagen und tat so, als wäre am letzten Abend nichts vorgefallen. Und Ruth war ebenso selbstverständlich in den Wagen geklettert und hatte ihm die Beifahrertür geöffnet.
Die Wolken hatten sich verzogen, der Himmel war so blau, dass seine Helligkeit in den Augen brannte. Die Sonne stach mit spitzen Stacheln. Einmal hielten sie im Städtchen Goageb, um zu tanken. In Aus, dem letzten Ort vor dem Diamantensperrgebiet, aßen sie im Bahnhofslokal zu Mittag und tranken Kaffee. Dann fuhren sie am Naukluftpark entlang und hatten Lüderitz erreicht, als die Kirchturmuhr die vierte Nachmittagsstunde verkündete.
In der Hoffnung auf weitere Informationen hatten Ruth und Horatio zuvor auch in Kolmanskop noch einmal gehalten, doch die Stadt hatte ihrem Beinamen »Geisterstadt« alle Ehre gemacht: Die Häuser lagen verlassen, der Sand hatte Besitz von ihnen ergriffen, und über allem schwebte der Geist einer vergangenen Zeit. Hier lebte schon seit Jahren niemand mehr, und daher gab es hier auch keinen, der Ruth hätte Auskunft geben können.
Es war kühl in Lüderitz, Schwaden von Küstennebel trieben wie Wattefetzen vorüber. Der Wind blies so stark, dass Ruth den Schildern, die davor warnten, das Auto in Windrichtung zu parken, auf der Stelle glaubte. Der Wind wirbelte Sand hoch, der sich auf Ruths Gesicht setzte. Ihre Zähne knirschten, die Augen brannten, und sie hörte, wie die Sandkörner den Lack ihres Wagens angriffen. Ruth nahm ein Tuch aus ihrem Rucksack und band es sich vor das Gesicht. Die Augen schützte sie mit einer Sonnenbrille.
»Sie sehen aus wie eine Mischung aus Nomadin und amerikanischem Filmstar«, spottete Horatio.
Ruth lächelte schief und betrachtete die karge Felslandschaft ringsum. Die Häuser waren mitten in die Felsen gebaut, schmiegten sich an den grauen Stein.
Horatio sah sich aufmerksam auf dem Parkplatz um.
Ruth schien es, als suche er etwas. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie.
Horatio nickte zerstreut. Er wirkte besorgt oder zumindest aufmerksam.
Ruth war sich sicher, dass er etwas wusste oder plante, von dem sie nichts erfahren durfte. Etwas in ihr sträubte sich, von ihm Schlechtes zu erwarten, etwas anderes in ihr hielt das alte Misstrauen wach. Sie sah sich suchend um. In großer Entfernung, hinter einem Baum und von diesem fast verborgen, entdeckte sie einen schwarzen Pick-up. Sie näherte sich ihm auf ein paar Schritte, bis sie erkannte, dass es sich um einen Chevrolet handelte.
Horatio war mit ihr gegangen. Er beugte sich sogar ein wenig nach unten, um das Nummernschild lesen zu können.
»Kennen Sie den Wagen?«, fragte Ruth und war sich selbst nicht sicher, ob es derjenige war, den sie am Tag zuvor in Keetmanshoop gesehen hatte.
»Nein«, versicherte Horatio eilig. »Er gefällt mir nur, das ist alles. Hätte ich Geld, ich glaube, ich würde einen solchen Wagen fahren.« Er lachte mit der Verlegenheit kleiner Jungen, die steif und fest behaupten, später einmal zum Mond zu fliegen.
Ruth bemerkte, wie der Ärger des Vorabends wieder in ihr aufstieg. »Nun, wenn Sie das ›Feuer der Wüste‹ finden, können Sie sich ihn ja leisten. Vorher sollten Sie aber noch fahren lernen. Wie man einen Keilriemen wechselt, wissen Sie ja schon.« Sie wandte sich brüsk ab.
Horatio lief ihr hinterher. »Hören Sie«, sagte er, und Ruth fiel mit einem Mal auf, dass die meisten seiner Sätze so begannen. »Hören Sie, Ruth, wir sollten nicht streiten. Wir haben dasselbe Ziel. Es ist wichtig, dass wir einander vertrauen und
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