Das Feuer des Daemons
Nachtwesen und Oberhaupt des Tribunals der Alten Völker. Er hatte weißes Haar und Sterne als Augen, seine magische Energie brannte heiß wie eine Feuersäule, die Grace’ Gedanken zu versengen drohte. Dann das Vampyr-Trio: der König der Nachtwesen mit seinem freundlich aussehenden Begleiter Xavier del Torro, der so berüchtigt war, dass selbst Grace schon von ihm gehört hatte, und die blonde Frau an ihrer Seite, die
an diesem Zufluchtsort mit dem Schwert auf Carling losgegangen war.
Allein diese Handlung bestätigte Grace, was sie schon immer gewusst hatte: dass die Gesetze, die das Orakel, die Ratsuchenden und das Land schützen sollten, einfach nicht ausreichten.
Und dann passierte das Merkwürdigste überhaupt. Alles um sie herum schien eine Rille zu überspringen. Wenn die Welt eine alte 45er-Vinylplatte auf einem Plattenspieler war, dann war die Nadel plötzlich gesprungen und hatte einen wichtigen Teil des Songs ausgelassen.
Und von einer Sekunde zur nächsten verwandelte sich Rune in etwas Monströses. Er tötete die blonde Vampyrin, die zu Staub zerfiel und vom Morgenwind davongetragen wurde.
Für Grace’ Geschmack hatte die Gruppe schon vorher viel gestritten, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was dann kam. Vor Erschöpfung und Schreck konnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten – trotzdem blieb sie wie angewurzelt an ihrem Platz, denn was diese tödlichen, unsterblichen Machtfiguren da beschlossen, ging sie gehörig etwas an.
Als sich der Rat der Nachtwesen schließlich an Grace wandte und sie nach ihrer Meinung fragte, äußerte sie diese nur zu bereitwillig. Sie wusste, dass sie nicht alles mitbekommen hatte, was vorgefallen war, und sie hatte auch nicht alles von diesem Streit verstanden – aber eines hatte sie deutlich genug gesehen. Und was sie davon hielt, wusste sie ganz genau.
Die Vampyrfrau hatte auf ihrem Grund und Boden
ein Schwert gezogen
. In Grace’ Augen hatte diese Frau mehr als verdient, was Rune daraufhin getan hatte. Sie hätte die Frau selbst getötet, wenn sie Gelegenheit dazu gehabt hätte.
Nachdem sie ihre Meinung geäußert hatte, war die ganze Sache vorüber gewesen.
Für ein junges, unerfahrenes Orakel war dieser Morgen außergewöhnlich, gefährlich, verwirrend und beängstigend gewesen. Und sie hatte noch keine Möglichkeit gehabt, mit jemandem darüber zu sprechen. Immer noch wirbelten die Ereignisse wie ein Wolkentrichter durch ihren Kopf.
Dass Grace die Vampyrfrau nicht selbst in Notwehr hatte töten müssen, spielte dabei keine Rolle. Die Gewalt an diesem Morgen war nicht einmal gegen Grace gerichtet gewesen, aber sie war vor ihren Augen geschehen, und das allein hatte alles verändert. Ihr friedvolles Zuhause und ihre kleine Welt waren unauslöschlich gezeichnet.
In den vergangenen vier Monaten war ihr Leben ohnehin schon bis in die Grundfesten erschüttert worden. Jetzt hatte sie das Gefühl, mit den Kindern in einem unvorstellbar zerbrechlichen Glashaus zu leben, und sie wusste nicht, wie sie es verantworten sollte, noch länger mit ihnen hierzubleiben.
Immerhin erkannten alle Zirkel im Reich der Hexen an, was für einer unzumutbaren Belastung Grace seit dem Unfall ausgesetzt war. Es war schlicht unmöglich, den Verpflichtungen nachzukommen und die Traditionen des Orakels zu wahren, wenn man gleichzeitig alleinerziehende Mutter war.
Veranlasst durch Isalynn LeFevre, das Oberhaupt des Hexenreichs, war eine Liste mit freiwilligen Babysittern erstellt worden, die Grace anrufen konnte, wenn sie als Orakel agieren musste. Die Hexen stellten ihre Zeit freiwillig zur Verfügung. Derartige ehrenamtliche Tätigkeiten waren für alle aktiv praktizierenden Hexen im Reich verpflichtend, aber manchmal wurden sie nur widerwillig abgeleistet. Jedenfalls war der Babysitterplan nur eine provisorische Lösung; er behob keines ihrer größeren Probleme.
Und er änderte auch nichts an der Tatsache, dass sich etwas verändern musste. Irgendwie.
Das musste es, weil es unvorstellbar war, so weiterzumachen wie bisher.
Die Backofenuhr klingelte. Die Nudeln waren fertig.
Grace stand auf und brachte das Abendessen für die Kinder auf den Tisch.
3
Auf dem Dach des Hauses nahm Khalil wieder Gestalt an. Nicht unbedingt, weil er den Wunsch verspürte, wieder eine physische Form zu besitzen, sondern damit sich seine aufgewühlte Energie auf einen Punkt konzentrieren konnte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen eine Dachgaube. Wie er
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