Das Feuer des Daemons
ganz gewiss nicht. Und Therese war schließlich kein Teenager mehr, denen manchmal das Gefühl für Tabuzonen fehlte. War es schlicht und einfach Neugier gewesen?
Es kostete sie bewusste Anstrengung, ihre Muskeln zu lockern, ehe sie leise durch das Wohnzimmer ins Büro ging.
Während sie sich gründlich im Zimmer umsah, versuchte sie sich genau zu erinnern, wo alles gewesen war. Der Papierstapel auf ihrem Tisch war eine bunte Ansammlung von Rechnungen, kopierten Zeitschriftenartikeln für ihre unvollendeten College-Projekte und verschiedenen Entwürfen ihres Lebenslaufs. Die Unterlagen wirkten etwas unordentlich – oder fand sie das nur, weil sie wusste, dass Therese sie durchgeblättert hatte?
Sie rieb sich den Nacken. Tatsache war, dass ihr Schreibtisch nicht allzu ordentlich war und sie nie etwas bemerkt hätte, wenn Khalil Therese nicht erwischt hätte. Ihr Computer war eingeschaltet, obwohl sich Grace deutlich daran erinnerte, ihn ausgeschaltet zu haben. Aber hätte Khalil nichts gesagt, hätte sie auch das mit einem Schulterzucken abgetan und gedacht, Therese hätte vielleicht ihre E-Mails abrufen wollen.
Vielleicht hatte das alles nichts zu bedeuten. Vielleicht hatte Therese tatsächlich ihre E-Mails abgerufen. Vielleicht hatte sie die Unterlagen durchwühlt, weil sie einen Stift und ein leeres Stück Papier gesucht hatte.
Khalils unerwartetes Auftauchen hatte sie furchtbar entrüstet.
War das wirklich Voreingenommenheit gegenüber dem Dschinn oder eher die Wut darüber, erwischt worden zu sein?
Und wobei eigentlich erwischt?
Grace und Therese waren keine Freundinnen, nur Bekannte. Therese gehörte einem der örtlichen Hexenzirkel an, und Grace hatte sie ein oder zwei Mal getroffen – genug, um sich nicht über ihren Namen auf der Babysitterliste zu wundern und keine Bedenken zu haben, sie mit den Kindern allein zu lassen. Aber trotzdem war Grace wütend, fühlte sich verraten und verletzt.
Dabei war sie sich nicht einmal sicher, ob das gerechtfertigt war.
Wäre da nicht Thereses Gefühllosigkeit gewesen. Was diese Frau gesagt hatte – und wie sie es gesagt hatte –, war in Grace’ Augen unverzeihlich, selbst wenn es ihr im Zorn herausgerutscht war. Grace ging zum Bücherschrank im Wohnzimmer, in dem sie ihre Handtasche aufbewahrte, und überprüfte deren Inhalt. Autoschlüssel, Ausweis, Scheckbuch, ein Päckchen Kaugummis, ein Schnuller von Max. In ihrem Portemonnaie war genauso viel Geld wie vorher: sechzehn Dollar und dreiundfünfzig Cent. Soweit sie es beurteilen konnte, hatte Therese nichts mitgenommen.
Grace drehte sich um, stemmte die Hände in die Hüften und sah sich das Wohnzimmer genauer an. Ebenso wie der Bürobereich sah es unaufgeräumt und bewohnt aus.
Unter herabgezogenen Brauen warf Khalil ihr einen Blick zu.
Fehlt etwas von deinen Sachen?
Seine Miene verhieß Ärger für Therese, falls dem so wäre. Die Lippen zu einem schmalen, traurigen Strich zusammengepresst, schüttelte Grace den Kopf.
Ich halte nichts von dieser Babysitterliste, wenn mehr Leute wie Therese daraufstehen,
sagte er.
Ich auch nicht,
erwiderte sie.
Wirklich nicht.
Wenn sie sich nicht auf die Leute von der Liste verlassen konnte, was zum Geier sollte sie dann tun? Sie rieb sich den Nacken und setzte diese Frage auf die immer länger werdende Liste von Dingen, über die sie nachdenken musste.
Aber vom Nachdenken würde kein Abendessen für die Kinder auf den Tisch kommen. Sie machte sich auf den Weg in die Küche.
Als sie am Sessel vorbeikam, fragte sie Khalil: »Bleibst du zum Abendessen?«
Die sanft dahinfließenden Worte in Khalils tiefer, klarer Stimme stockten. »Nun gut.«
Grace hatte ihn als
Freund
bezeichnet.
Während Khalil den Kleinen vorlas, grübelte er über das Wort nach. Das Baby lutschte am Daumen und lehnte sich zurück, damit es Khalils Gesicht sehen konnte. Leicht wie eine Elfe lehnte Chloe an Khalils anderer Seite und strich mit den Fingern über die Seitenränder des Buches, während sie zuhörte. Die blonden Haare standen ihr wie der Flaum einer Pusteblume vom Kopf ab. Selbst in frühester Kindheit war seine Tochter Phaedra nie so zerbrechlich gewesen wie diese beiden Menschenkinder. Diese Vogelbabys waren warm und weich, offenherzig und aufgeschlossen. Und so vertrauensvoll.
Als er Therese dabei erwischt hatte, wie sie in den Unterlagen auf Grace’ Schreibtisch herumwühlte, waren Max und Chloe im Wohnzimmer gewesen. Max hatte auf einem Stofftier herumgekaut und Chloe dabei
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