Das Flammende Kreuz
im Licht der Glut die Schönheit der aufgehängten Gänse aufgefallen, deren reines Gefieder sich schwarz-weiß von der verrußten Wand abhob.
»Ich habe mich vergewissert, dass Jemmy fest schlief, dann habe ich meine Zeichenutensilien geholt und gezeichnet, bis ich so kalte Finger hatte, dass ich die Kohle nicht mehr halten konnte. Das war die beste.« Sie deutete auf die Zeichnung, einen abwesenden Blick in den Augen.
Zum ersten Mal sah er die blauen Schatten in ihrem Gesicht und stellte sich vor, wie sie mitten in der Nacht allein bei Kerzenschein tote Gänse zeichnete. Jetzt hätte er sie gern in den Arm genommen, doch sie wandte sich ab und ging zum Fenster, dessen Läden zu klappern begonnen hatten.
Der Schnee des kurzen Schauers war geschmolzen, doch dann war ein eiskalter Wind gefolgt, der die letzten, trockenen Blätter von den Bäumen fegte und Eicheln und Kastanienhüllen durch die Luft wirbelte, die wie Schrot auf das Dach prasselten. Er folgte ihr und griff an ihr vorbei, um die Fensterläden zu schließen und sie zum Schutz vor dem bitteren Wind zu befestigen.
»Pa hat mir Geschichten erzählt, während ich - während ich auf Jemmys Geburt gewartet habe. Ich habe nicht genau aufgepasst -« Ihr Mundwinkel zuckte ironisch. »Aber das eine oder andere habe ich behalten.«
Jetzt drehte sie sich um und lehnte sich an die Fensterläden, die Hände hinter sich auf die Fensterbank gestützt.
»Er hat gesagt, wenn ein Jäger eine Graugans tötet, muss er bei der toten Gans warten, weil Graugänse sich fürs Leben paaren, und wenn man nur eine tötet, trauert sich die andere zu Tode. Also wartet man, und wenn das Männchen kommt, tötet man es auch.«
Ihre Augen hingen dunkel an den seinen, doch die Kerzenflammen ließen es in ihren Tiefen blau aufglitzern.
»Was ich mich gefragt habe, war- sind alle Gänse so? Nicht nur die Graugänse?« Sie wies erneut auf die Zeichnungen.
»Kann schon sein. Ich weiß es aber nicht genau. Dann machst du dir also Sorgen um die Partner der Gänse, die du erschossen hast?«
Ihre weichen, blassen Lippen pressten sich fest aufeinander, dann entspannten sie sich.
»Sorgen nicht gerade. Nur - ich musste hinterher einfach daran denken. Daran, wie sie weiter flogen... allein. Du warst fort - ich musste einfach daran denken - ich meine, ich habe gewusst , dass dir diesmal nichts passiert, aber nächstes Mal kommst du vielleicht nicht... na ja, egal. Es ist albern. Vergiss es.«
Sie stand auf und hätte sich fast an ihm vorbei in die Mitte des Zimmers geschoben, doch er legte die Arme um sie und hielt sie so dicht an sich, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte.
Er wusste, dass sie ihn nicht unbedingt brauchte - nicht zum Heu machen, zum Pflügen oder zur Jagd. Wenn nötig, konnte sie das alles selbst - oder sie konnte sich jemand anderen dafür suchen. Und doch... die Wildgänse sagten ihm, dass sie ihn brauchte - dass sie seinen Verlust betrauern würde, wenn es dazu kam. Vielleicht für immer. In seiner augenblicklichen, verletzlichen Stimmung war dieses Wissen ein großes Geschenk für ihn.
»Gänse«, sagte er schließlich mit halb erstickter Stimme in ihr Ohr. »Unsere Nachbarn hatten Gänse, als ich ein kleiner Junge war. Fette, weiße Biester. Wenn wir auf der Straße spielten, kamen sie schnatternd angefegt und haben mit den Schnäbeln nach uns gehackt und uns mit ihren Flügeln geschlagen. Wenn ich in den Garten gehen wollte, um mit meinen Kumpeln zu spielen, musste Mrs. Graham mitkommen und die Viecher mit dem Besen auf ihr eigenes Grundstück treiben. Dann ist eines Morgens der Milchmann gekommen, als die Gänse im Vorgarten waren. Sie sind auf ihn losgegangen, und er ist zu seinem Wagen gerannt - und sein Pferd war von dem ganzen Geschnatter und Geschrei so erschrocken, dass es zwei von den Gänsen platt getrampelt hat wie Pfannkuchen. Sämtliche Kinder auf der Straße waren begeistert.«
Sie lachte an seiner Schulter, halb schockiert, aber belustigt.
»Und was ist dann passiert?«
»Mrs. Graham hat sie an sich genommen und gerupft, und wir haben eine Woche lang Gänsepastete gegessen«, sagte er ganz nüchtern. Er richtete sich auf und lächelte sie an. Sie war errötet. »Das ist alles, was ich über Gänse weiß - sie sind durchtriebene Biester, aber sie schmecken gut.«
Er drehte sich um und hob sein schmutzverkrustetes Hemd vom Boden auf.
»Also. Lass mich deinem Vater auf dem Hof helfen, und dann möchte ich sehen, wie du meinem Sohn das Krabbeln
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