Das Flammende Kreuz
meinem Gesicht spüren. Er war kräftig genug, um mir das Haar von den Schultern zu heben, und kühlte mir den Hals. Er wehte geradewegs auf das Dorf zu.
Anna atmete in einem tiefen, langen Zug ein; ich konnte sehen, wie sie sich aufblies und ihre Schultern gerade richtete, um die Dinge in die Hand zu nehmen. Dann waren plötzlich alle Frauen in Bewegung. Sie eilten über die Straße zu ihren Häusern, riefen Kindernamen, blieben kurz stehen, um den Inhalt eines Gestells mit Trockenfleisch in ihrem Rock verschwinden zu lassen oder im Vorübergehen eine Schnur mit Zwiebeln oder Zwergkürbissen von einem Dachvorsprung mitzunehmen.
Ich wusste nicht genau, wo Jemmy war; eines der älteren Indianermädchen hatte ihn zum Spielen mitgenommen, doch in dem Gewimmel war ich mir nicht ganz sicher, welches. Ich raffte meine Röcke, eilte die Straße entlang und warf uneingeladen in jeden Hauseingang einen suchenden Blick. Große Eile lag spürbar in der Luft, jedoch keine Panik. Doch das Geräusch der trockenen Blätter ließ nicht nach, ein leises Rascheln, das mir auf dem Fuße folgte.
Ich fand ihn im fünften Haus, wo er gemeinsam mit einer Reihe anderer Kinder unterschiedlichen Alters tief und fest schlief. Sie hatten sich wie die Welpen in die Falten eines Büffelumhangs gekuschelt. Ich hätte ihn nie gesehen, wenn sein helles Haar im Dämmerlicht nicht wie ein Leuchtturm gestrahlt hätte. Ich weckte sie so sanft wie möglich und zog Jemmy heraus. Er wachte sofort auf und sah sich verwirrt blinzelnd um.
»Komm mit Omi, Schätzchen«, sagte ich. »Wir gehen jetzt.«
»Pferdchen gehen?«, fragte er, und sein Gesicht leuchtete schlagartig auf.
»Eine hervorragende Idee«, erwiderte ich und setzte ihn auf meine Hüfte. »Wir wollen das Pferdchen suchen, ja?«
Der Qualmgeruch war stärker geworden, als wir jetzt auf die Straße traten. Jemmy hustete, und ich konnte beim Einatmen etwas Ätzendes, Bitteres schmecken. Die Evakuierung war in vollem Gange; die Leute - zum Großteil Frauen - huschten in ihre Häuser und wieder heraus, schoben Kinder vor sich her und schleppten ihre Habseligkeiten in hastig gepackten Bündeln mit. Dennoch lief dieser Exodus ganz ohne Panik oder Alarm ab; jedermann schien besorgt, aber nicht übermäßig beunruhigt zu sein. Ich begriff, dass ein Holzdorf mitten im Wald sich zwangsläufig dann und wann dem Risiko eines Brandes ausgesetzt sehen musste. Die Bewohner sahen sich mit Sicherheit nicht zum ersten Mal mit der Möglichkeit eines Waldbrandes konfrontiert und waren darauf vorbereitet.
Diese Erkenntnis beruhigte mich ein wenig - obwohl meine nächste Erkenntnis, dass nämlich das konstante Blätterrauschen in meinen Ohren in Wirklichkeit das Knistern des herannahenden Feuers war, alles andere als beruhigend war.
Die meisten Pferde waren mit den Jägern unterwegs. Als ich die mit einer
Hecke eingezäunte Koppel erreichte, waren nur drei übrig. Auf einem davon saß einer der älteren Männer aus dem Dorf, der Judas und das andere Pferd aufgezäumt hatte, um sie fortzubringen. Judas war gesattelt und trug auch seine Satteltaschen und ein Seilhalfter. Als der Alte mich sah, grinste er und wies mit einem Ausruf auf Judas.
»Danke!«, rief ich zurück. Der Mann beugte sich nieder und nahm mir Jemmy schwungvoll aus den Armen, so dass ich Judas besteigen und die Zügel aufnehmen konnte, bevor er mir Jemmy behutsam zurückreichte.
Alle drei Pferde traten unruhig auf der Stelle. Sie wussten genauso gut wie wir, was Feuer war - und es behagte ihnen noch weniger. Ich packte die Zügel fest mit einer Hand und hielt Jemmy mit der anderen noch fester.
»Okay, Alter«, sagte ich mit vorgetäuschter Autorität zu Judas. »Los geht’s.«
Judas war von diesem Vorschlag äußerst angetan; er hielt auf die Lücke in der Heckenumzäunung zu, als sei sie die Ziellinie eines Rennens, und meine Röcke verfingen sich im Vorbeireiten in den Dornen des Zauns. Es gelang mir, ihn ein bisschen zurückzuhalten, so dass der Alte mit seinen zwei Pferden die Koppel verlassen und uns einholen konnte.
Der Mann rief mir etwas zu und wies vom Feuer weg zum Berg. Der Wind war stärker geworden; er wehte ihm das lange, graue Haar ins Gesicht und dämpfte seine Worte. Er schüttelte den Kopf, machte sich aber nicht die Mühe, sich zu wiederholen, sondern lenkte einfach sein Pferd in die Richtung, in die er gezeigt hatte.
Ich trieb Judas an, ihm zu folgen, hielt ihn jedoch gleichzeitig zögernd am Halfter zurück. Ich
Weitere Kostenlose Bücher