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Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
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er jeden Augenblick zu weinen anfängt. Mary Allen McIntire starrt mich an, ein Schatten von Ungeduld legt sich über ihr Gesicht. Sie ist es leid, abgeschoben zu werden, müde, für ihre tote Tochter zu kämpfen. Ich reiße meinen Blick von dem Mann los, setze mich und wende mich wieder Mary Ellen zu.
    „Was führt Sie nach Willow Creek, Mrs. McIntire?“
    „Ich habe gehört …“, setzt sie an. „Ich habe von den vermissten Mädchen gehört. Und ich dachte, ich könnte vielleicht, Sie wissen schon … helfen.“
    Meine nächsten Worte wäge ich sorgfältig ab. „Glauben Sie, dass es eine gute Idee ist, so schnell schon wieder Teil einer … einer solchen Situation zu sein?“
    Mrs. McIntire schluckt. „Ich denke, das ist genau das, was ich gerade sein sollte. Ich weiß, wie sie sich fühlen, die Familien. Ich weiß, was sie durchmachen.“
    „Es gibt keine Hinweise, wissen Sie, dass Petras und Callis Verschwinden irgendetwas mit Jenna zu tun hat.“
    „Das weiß ich“, sagt sie kurz angebunden. „Ich bin nicht hier, um mich nach Jennas Fall zu erkundigen. Das könnte ich per Telefon tun – und werde es auch, immer und immer wieder. Ich … ich konnte nur nicht aufhören, an die armen Mütter zu denken, die nicht wissen, wo ihre Mädchen sind. Es ist so ein fürchterliches Gefühl.“
    „Die Mädchen könnten genauso gut auch einfach nur irgendwo zum Spielen hingegangen sein“, sage ich, auch wenn ich fühle, dass es nicht so ist. „Sie könnten jeden Augenblick nach Hause kommen. Das wissen Sie, nicht wahr? Wir stehen immer noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen.“
    „Ich weiß“, erklärt sie müde. „Bitte … bitte sagen Sie ihnen einfach nur, dass ich zur Verfügung stehe, wenn sie jemanden brauchen, der bei ihnen ist, Flugblätter verteilt, Leute anruft. Egal was. Bitte, werden Sie ihnen das ausrichten?“
    „Das werde ich“, verspreche ich. „Kann ich Ihnen irgendetwas bringen? Einen Kaffee?“
    Sie schüttelt den Kopf. „Ich habe mein Handy dabei. Sie haben meine Nummer doch noch?“
    „Ja, natürlich. Ich rufe Sie an. Egal wie, Mrs. McIntire.“
    Sie steht auf und streckt mir die Hand hin. Es ist das erste Mal seit dieser ganzen schlimmen Geschichte mit Jenna. Ich nehme ihre Hand und schüttele sie dankbar, und ich bete, dass diese beiden Fälle nichts miteinander zu tun haben.

Calli
    Calli stapfte den engen, steilen Pfad hinauf. Der Weg war bedeckt mit zerklüfteten Steinen, die eine natürliche Treppe bildeten. Ihre wunden Füße waren taub vor Schmerz. Sie wollte den Pfad am liebsten verlassen, aber zwang sich, es nicht zu tun. Zu leicht hätte sie sich völlig verlaufen können. Was hatte sie dazu gebracht, sich nun doch wieder bergauf zu begeben? Sie war sich nicht sicher. Sie war gerade den Weg entlanggegangen, als sie es auf einmal hörte. Eigentlich war es nur ein Rascheln gewesen, aber es ließ sie innehalten. Unter ihr, gleich neben dem Weg, sah sie eine Silhouette, eine undefinierbare Form, zu groß, um ein Tier zu sein, vielleicht auch zu groß für einen Menschen, oder lag das nur an den länger werdenden Schatten der Nachmittagssonne? Angst durchzuckte sie. Sie wartete nicht, um herauszufinden, was es war, sondern rannte den Weg entlang, den sie gekommen war. Rauf, rauf, aber anstatt den Pfad zu nehmen, der sich nach rechts schlängelte, wählte sie den linken, eigentlich nur eine struppige, überwachsene Spur im Wald. Sie traute sich nicht zurückzuschauen, aus Angst vor dem, was sie sehen könnte. Sie kletterte aufwärts, benutzte die Hände, um sich auf dem steilen Weg nach oben zu ziehen, Schmutz und kleine Steinsplitter blieben unter ihren Fingernägeln hängen.
    Sie nahm an, dass sie beinah den höchsten Punkt des Felsens erreicht hatte. Die Äste schlugen ihr ins Gesicht, hinterließen kleine, erhabene Striemen auf ihrer Haut. Die Dämmerung nahte, und die Angst davor, die Nacht im Wald verbringen zu müssen, trieb sie vorwärts. Sie konnte nur das Geräusch ihres Atems hören, rasselnd und keuchend, und sie betete, dass er es nicht auch hörte. Ihre Schritte wurden langsamer, als der Weg eben wurde, und sie beugte sich vornüber, Hände auf den Knien, versuchte, die kühle Luft einzuatmen, während die Hitze des Tages langsam verebbte. Schweiß lief ihr in die Augen, und sie strich sich eine verfilzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Als ihr Atem sich beruhigte, summten die frühen Abendgeräusche des Waldes um ihren Kopf – das Dröhnen der Insekten, Vögel,

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