Das Flüstern der Toten (German Edition)
verstehen. »Dann war’s einer von Ihren Toten?«
»Nein«, entgegnete ich und beobachtete, wie Dad und Onkel Bob sich miteinander unterhielten. »Nein, das war etwas anderes.«
Garrett lehnte sich in seinem Sitz zurück und rieb sich mit den Fingern übers Gesicht. »Also laufen da draußen nicht nur Tote herum. Was denn noch? Dämonen? Poltergeister?«
»Poltergeister sind bloß angepisste Tote. So mysteriös ist es eigentlich gar nicht«, log ich. Mysteriöser als Reyes ging ja wohl nicht.
Ganz egal, was ich tat, ich konnte einfach nicht aufhören, an ihn zu denken, zum Beispiel an seine Tätowierungen und was sie vielleicht bedeuteten. Darüber zerbrach ich mir den Kopf. Wenn bloß nicht so viel nutzloses Wissen darin herumschwirren würde. Meine verdammte Neigung zu Nebensächlichkeiten.
Ich fragte mich aber auch andere Dinge. War er ein auf Kohlenstoff basierendes Wesen? War er dreißig Jahre oder dreißig Milliarden Jahre alt? Kam er von hier oder von sonst wo? Allerdings wusste ich genug, um seine planetare Herkunft nicht infrage zu stellen. Ein Außerirdischer war er jedenfalls nicht.
»Also gut«, sagte Onkel Bob, nachdem er sich angeschnallt hatte. »Jetzt muss ich erst mal gründlich nachdenken, bis wir am Revier ankommen. Da werde ich gar nicht mitkriegen, worüber ihr zwei euch unterhaltet.« Er warf mir im Rückspiegel einen Blick zu und zwinkerte abermals.
Bis wir auf dem Polizeirevier ankamen, ging die Geschichte so: Als ich meine Bürotür öffnete, standen wundersamerweise zwei Männer auf dem Gang. Nummer zwei zeichnete sich durch aschblonde Haare, einen Bart, undefinierbare dunkle Kleidung und keinerlei besondere Kennzeichen aus und war damit praktisch nicht zu identifizieren. So ein Pech. Ehrlich gesagt war ich ein wenig überrascht, dass Garrett so was mitmachte.
»Als ob ich mich lieber in ’ner Gummizelle einsperren ließe«, sagte er, als wir aufs Revier spazierten. Er begann die Dinge mit meinen Augen zu sehen.
Das erste Gesicht, dem ich auf dem Revier begegnete, gehörte dem immer noch schäumenden Officer Taft. Er stand hinter seinem Schreibtisch, las in einem Aktenordner und glotzte mich, als wir vorbeigingen, finster an. Desgleichen Strawberry Shortcake. Wenigstens ging die Kleine nicht auf mich los. Eine Verbesserung.
Ich konnte mich trotzdem nicht zurückhalten. Ich setzte für Taft mein schönstes dreckiges Grinsen auf und sagte, ohne meine Schritte groß zu verlangsamen: »Wenden Sie sich nicht an mich, wenn Sie kapieren, was los ist, und Hilfe brauchen.«
»Ich bin keiner, der Hilfe braucht«, schoss er zurück.
Onkel Bob beschleunigte, um zu mir aufzuschließen. »Was war das denn?«, fragte er eindeutig interessiert.
»Erinnerst du dich noch an den kleinen Satansbraten? Taft kommt nicht damit klar, dass sie ihn ihre Gegenwart spüren lässt – deshalb ist er sauer auf mich.«
Er drehte sich mit nachdenklicher Miene um. »Ich könnte ihn Donuts holen schicken, damit er wieder runterkommt.«
Das hörte sich gut an. Nachdem wir alle unsere Aussagen gemacht hatten, die bemerkenswert übereinstimmend ausfielen, hieß es für uns Essen fassen. Anschließend setzten Onkel Bob und ich Garrett ab und fuhren zur Yucca High. Garrett bettelte wie ein Kind, das am Samstagabend daheim bleiben muss, damit wir ihn mitnahmen; er winselte sogar ein wenig.
»Bitte«, flehte er.
»Auf gar keinen Fall.« Das musste er noch lernen.
Die Yucca High lag tief im südlichen Albuquerque, eine alte Schule, auf der schon allerhand Gemeines passiert war und die trotzdem einen exzellenten Ruf hatte. Wir kamen vor den Spätnachmittagskursen an, als die Jugendlichen die fünf Minuten Pause nutzten, um zu reden, zu flirten und die Neulinge herumzuschubsen. Vor unserer Ankunft hatte ich die Highschool nicht sonderlich vermisst, nach unserer Ankunft noch viel weniger.
Die Nachwirkungen des Morgens sorgten immer noch für schwere Glieder. Die Dinge gingen nicht mit Normalgeschwindigkeit vonstatten. Alles kam mir zäh und lethargisch vor. Ich trieb durch die Wirklichkeit einer Welt, die bloß wegen meiner Nahtoderfahrung nicht mit kreischenden Bremsen haltmachte. Nein, sie drehte sich einfach weiter in dem nie endenden Kreislauf episodischer Abenteuer, die man das Leben nannte. Die Minuten schleppten sich dahin. Die Sonne schlich über den Himmel.
Schließlich betraten wir das Büro der Schule und stießen dort auf eine erschöpfte Verwaltungsassistentin. Nicht weniger als sieben Leute
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