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Das Flüstern des Windes (German Edition)

Das Flüstern des Windes (German Edition)

Titel: Das Flüstern des Windes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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raschelten im herabgefallenen Laub.
    Die Dörfer, durch die sie zogen, waren sauber und mündeten meist in einen gepflasterten Marktplatz, auf dem die Bauern ihre Waren anboten. Das ganze Land war Karems Heimat Thuur so ähnlich, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Zwar spürte man hier den Einfluss der Menschen auf die Natur viel deutlicher als in Thuur, wo das Land rauer und wilder war; aber allein das satte Grün war nach der Eintönigkeit der Großen Wüste eine Augenweide.
    Aber Karem wurde bald ernüchtert, als er erkannte, dass der Reichtum Roma Secundus auf dem Leid armseliger Menschen beruhte. Überall schufteten Sklaven, schleppten Steine für Häuser und Straßen heran, fällten Bäume oder reinigten die öffentlichen Plätze. Mehr als einmal hörte er das Lied der Peitsche singen, wenn das Leder auf nackte Haut schlug.
    Das also war sein Schicksal. Er würde als einer von Tausenden, vielleicht sogar von Millionen Sklaven bis an sein Lebensende hart arbeiten, während die Herren dieser Welt in ihren Villen und Palästen von den Früchten seiner Arbeit lebten. Eine tiefe Depression überfiel ihn. Die schöne Landschaft verlor ihren Glanz und offenbarte sich als gigantisches Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gab.
    Jedes Dorf, jede noch so kleine Stadt beherbergte eine Garnison Legionäre und viele von ihnen schienen nur damit beschäftigt zu sein, entflohene Sklaven wieder einzufangen.
    Karem kam immer wieder an großen Holzbalken vorbei, an denen man die Unglücklichen, die wieder eingefangen worden waren, lebendig gekreuzigt hatte. Die noch lebten, jammerten auf ihn herab; die Toten starrten aus, von den Vögeln herausgepickten, nackten Augenhöhlen in die Ewigkeit.
    Männer, Frauen, selbst Kinder wurden auf diese grausame Art bestraft. Karem sah einen kleinen Jungen in seinem Alter, dessen gesamter Körper mit Peitschenhieben bedeckt war. Er lebte noch, und als Karem den Kopf in den Nacken legte, begegneten sich ihre Blicke. Alles Leid, alle Qualen schienen in diesem Augenblick auf ihn überzugehen, und er sah die unendliche Verzweiflung in den Augen des anderen.
    Ein grober Stoß mit einem Peitschenstiel ließ ihn vorwärtsstolpern.
    »Marschier weiter!«, knurrte einer der Wächter. »Oder du hängst neben ihm!«
    Karem ging weiter, aber als er sich kurz umdrehte, sah er, dass ihm der Junge nachblickte.
    In seinem noch jungen Herz regte sich unsagbares Mitleid, aber sein Geist wurde von flammendem Zorn auf jene Menschen erfasst, die einem anderen so etwas antun konnten.
    Sein Hass gab ihm Kraft, während seine Füße ihn durch Venturien trugen.
     
    Nach vier weiteren Tagen Fußmarsch erreichten sie Lotrien, eine an einem mächtigen Fluss gebaute Hafenstadt.
    Karem hatte noch nie eine so große Ansammlung von Häusern und Plätzen gesehen. Selbst Omraks Städte wirkten dagegen wie schäbige Dörfer. Alle Straßen waren gepflastert. Verzierte Säulen säumten die Wege und an vielen Ecken standen marmorne Statuen, die längst verstorbene Kaiser oder Helden des römischen Reiches darstellten.
    Männer und Frauen waren mit weiten, weißen Togen bekleidet, die meist von Spangen am Schultergelenk und an den Hüften von bestickten, goldenen Gürteln gehalten wurden. Die Frauen trugen die schwarzen Haare kunstvoll aufgesteckt, die Männer schienen Kurzhaarschnitte zu bevorzugen.
    Die ganze Stadt strahlte Reichtum und Wohlstand aus.
    Als ihre Karawane das östliche Tor durchschritten hatte, das von zwei aufrecht stehenden, steinernen Löwen gebildet wurde, tauchten sie nach der Ruhe der ländlichen Gegend in das pulsierende Leben der großen Stadt ein.
    Farcellus Leibwache sorgte dafür, dass die Passanten ihnen Platz machten. Viele der Vorbeigehenden versuchten einen Blick in den großen vierrädrigen Wagen zu werfen, der aber vorsichtshalber mit einer Segeltuchplane abgedeckt war. Das dumpfe Grollen des Orks sorgte für einige beunruhigte Blicke, und bald folgte eine kleine Schar Neugieriger der Karawane, die sich unbeirrt ihren Weg zum Hafen bahnte.
    Nachdem die Menschen merkten, dass sie keine Chance bekommen würden herauszufinden, was für ein geheimnisvolles Wesen unter der Plane steckte, verstreuten sie sich nach und nach.
    Die Wächter waren abgelenkt, und so konnte Karem die Eindrücke der Stadt in sich einsaugen. Die Luft roch seltsam modrig durch den über den Fluss streichenden Wind; gleichzeitig war sie aber mit dem Aroma fremder Gewürze und Pflanzen durchsetzt. Alles zusammen ergab eine

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