Das Flüstern des Windes (German Edition)
Karems Schulter. Karem versuchte wegzurücken, aber die Kette, die ihn an den Mast band, war schon gespannt. Der stinkende Atem des Mannes strich über sein Gesicht.
»Was soll das?«, fragte er halb in Panik.
»Jetzt komm«, flüsterte der Matrose heiser. »Ich will mir nur ein wenig Appetit holen.«
Zu seinem Entsetzen musste Karem feststellen, dass der Mann die Hand zwischen seine Beine geschoben hatte und nun schmerzhaft seine Hoden zusammendrückte.
Er schrie auf.
»Hör mit dem Lärm auf, oder ...«
Weiter kam er nicht. Plötzlich fiel ein Schatten auf die beiden. Der massige Körper des Kapitäns erschien neben dem Mast. Der Matrose wurde am Kragen gepackt und nach hinten geschleudert. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, war der Kapitän über ihm. Trotz seines schwerfälligen Aussehens bewegte er sich geschmeidig. Mit dem Stiefel trat er dem am Boden Liegenden in die Seite. Ein Jaulen war die Antwort. Das Gesicht des Kapitäns glühte vor Wut, als er immer weiter zutrat. Er stampfte regelrecht auf den Matrosen ein, während er laut fluchte.
Zwei Männer mussten den Rasenden wegziehen. Der Matrose bewegte sich nicht mehr. Sein Kopf war nur noch eine blutige, mit Haaren durchsetzte Masse.
Auf den Befehl des Kapitäns hob der Bootsmaat den Ohnmächtigen auf und warf ihn über Bord. Karem konnte nicht sehen, was dann passierte, aber das Grölen der Seeleute, als die Haie über den Körper herfielen, jagte ihm einen Schauer über den Rücken.
Er hielt sich die Ohren zu und weinte, aber niemand kümmerte sich darum.
Nach zwei Tagen Flussfahrt legte die Barkasse in einem kleinen Mündungsdelta des großen Stromes an. An einem verrotteten Pier wurde das Schiff festgemacht, und die Karawane ging von Bord.
Ohne Taurin, eine winzige, schäbige Stadt, die nur aus heruntergekommenen grauen Häusern zu bestehen schien, überhaupt zu betreten, ging die Reise weiter.
Vier Stunden lang quälte sich die Karawane bergauf, wobei mehr als einmal die Gefahr bestand, dass die übermüdeten und zum Teil seekranken Pferde, die Kraft nicht aufbrachten, den Karren den Hügel hochzuziehen. Sämtliche Söldner mussten mit anschieben, aber schließlich war es geschafft.
Vor ihnen breitete sich ein von Bergen eingeschlossenes, grünes, fruchtbares Tal aus. Soweit das Auge reichte, waren Obst und Olivenbäume zu sehen. An den Südhängen des Tales waren Rebstöcke angepflanzt worden, die fast die gesamte Hügelfläche auf der einen Seite bedeckten.
Inmitten der Schönheit lag ein weitläufiges Anwesen, das sich aus einer Privatvilla, mehreren kleinen Häusern, blühenden Gärten und Pferdeställen zusammensetzte. Etwas im Hintergrund drängten sich die Hütten der Sklaven aneinander. Wäsche hing an Seilen zum Trocknen im Wind.
Karem sah überall Menschen geschäftig herumlaufen. Auch in der Plantage und im Weinberg bemerkte er Sklaven bei der Arbeit.
Je näher sie kamen, um so beeindruckender wirkte der Wohlstand, den Farcellus angehäuft hatte. Die Villa hatte ein marmornes Vordach, das von verzierten Säulen gestützt wurde. Im Garten und im Park, die an das Hauptgebäude anschlossen, standen weiße Steinskulpturen inmitten von einem verschwenderischen Blütenmeer. Mit Kies bestreute Wege führten hindurch und Karem erblickte ein wunderschönes Mädchen in seinem Alter, das mit einer Stoffpuppe auf einer Steinbank saß und ihnen neugierig entgegenblickte.
Da sie ihren Vater erkannte, sprang sie freudig auf und stürmte in seine geöffneten Arme. Ihre goldblonden Locken glitzerten im Sonnenlicht, als sie ihren Kopf in den Nacken legte und lachte.
In Farcellus Gesicht ging eine merkwürdige Wandlung vor sich. Seine sonst verschlossene Miene entspannte sich, und Karem sah ihn zum ersten Mal lächeln. Die breite Hand des Vaters strich sanft über das Haar des Mädchens.
Der Lärm, den die beiden machten, rief weitere Bewohner des Hauses heraus. Eine elegante Dame, Farcellus Gattin, schritt ihm würdevoll entgegen und verbeugte sich elegant vor ihrem Ehemann. Hinter ihrem Rücken kam ein gut gekleideter, junger Römer zum Vorschein, auch er wurde von Farcellus umarmt. Karem nahm an, dass es sich bei dem jungen Mann um den Bruder des Mädchens handelte.
Mehrere Bedienstete traten nun hervor und boten ihrem Herrn Schüsseln mit Wasser und weiße Leinentücher an. Farcellus wusch seine Hände darin, bevor er vor eine kleine Skulptur in Urnenform trat, sich niederkniete und mit den Fingern die Lippen berührte. Als das
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