Das Flüstern des Windes (German Edition)
Mischung, die sich betäubend auf die Sinne legte.
Es gab nur wenige Verkaufsstände. Die meisten Händler boten ihre Waren in steinernen Häusern an, vor denen sie in Holzkisten ihr Angebot ausgebreitet hatten.
Die Gebäude der Stadt waren oft so hoch, dass sie bis in den Himmel zu reichen schienen. Karem kam aus dem Staunen nicht heraus. Lotrien wirkte wie eine Stadt der Götter, so strahlend, oft blendend weiß war sie.
Sein Eindruck wurde jäh zerstört, als sie den Hafen erreichten. Hier drängten sich an schmutzigen Kais halbverrottete, flache Lagerhallen, aus denen ein penetranter Gestank auf die Straße wehte.
An den langen Holzpiers hatten Schiffe und Boote in jeder Größe und Form angelegt. Karem sah kleine Fischerboote, wie er sie auch aus seiner Heimat kannte, aber gleich daneben lagen riesige Galeeren und Handelschiffe mit gerafften Segeln im trüben Hafenwasser.
Jetzt verstand er auch, woher der modrige Geruch stammte, den er schon in der Stadtmitte wahrgenommen hatte. Algenstränge verfaulten in der Sonne und das Holz der Schiffe war oft von Schimmel und Pilzen bedeckt.
Farcellus Karawane hielt ohne zu Zögern auf eine kleine Barkasse am Ende des Piers zu. Wild aussehende Matrosen sprangen von Bord, befestigten den Karren, auf dem der Ork gefesselt lag, an dicken Seilen und hievten ihn, nachdem die Pferde ausgeschirrt und über eine Planke an Bord geführt worden waren, mit Hilfe mehrerer Seilwinden auf das Oberdeck.
Karems neuer Besitzer verließ zum ersten Mal seit langer Zeit seine Sänfte und schritt, gefolgt von seiner Leibwache, an Bord. Karem wurde von einem der Soldaten wie ein Hund an der Kette hinterher geschleift.
Der Kapitän des Schiffes, ein fetter, schwarzhaariger Mann, der ohne weiteres Farcellus Zwillingsbruder hätte sein können, begrüßte den Römer mit Handschlag. Beide verschwanden unter Deck.
Karem wurde wieder an einen Mast gekettet, während die Matrosen über das Deck hasteten. Dicke Taue wurden vom Ufer her an Bord geschleudert. Mit lautem Rasseln hievten zwei Mann den Anker, und die Barkasse drehte in den Wind.
Lotrien verschwand als weiß funkelnder Diamant am Heck, während das Schiff in die Strommitte des gewaltigen Flusses trieb.
Karem genoss trotz seiner Situation die Fahrt auf der Barkasse. Die Matrosen hatten nur die Hälfte der Segel gesetzt, und so trieb das Schiff gemächlich den Fluss hinunter in Richtung Süden.
Ihn faszinierte die Geschicklichkeit der Matrosen, wenn sie an den Masten hochkletterten, auf den großen Segeln herumturnten, um diese zu reffen oder aufzuholen. Ihre Arbeit war dabei stets von rhythmischen Seemannsgesängen begleitet und es war ein Schauspiel zu beobachten, wie viele Männer harmonisch zusammenarbeiteten.
Die Gesichter der Matrosen waren wild, meist trugen sie struppige Bärte und oft zierten große Narben Wangen, Kinn oder Hals, aber ihre Körper waren durchtrainiert und von der Sonne braungebrannt.
Karem wurde von ihnen überhaupt nicht beachtet. Er war nicht mehr oder weniger als jedes andere Stückgut, das an Bord festgezurrt war, und das man im Auge behielt, damit es nicht versehentlich über die Reling gespült wurde.
Lediglich einer von ihnen ließ sich herab, mit Karem zu reden. Er schien älter als die meisten anderen, obwohl man das bei seiner vom Wetter gegerbten Haut schlecht schätzen konnte. Als er lächelte, sah der Junge, dass in seinem Mund nur noch wenige, vom Tabakkauen braun gefärbte Zahnstummel vorhanden waren.
»Wie geht es dir, Junge?«, fragte er.
Karem sah hoch und blickte in kleine, listige Augen. Er hob seine gefesselten Hände anstatt einer Antwort.
»Hast du Hunger?«
Der Junge nickte.
Aus einer Tasche seiner gestreiften, knöchellangen Hose zog der Matrose einen Apfel hervor und streckte ihn Karem entgegen.
Karem wollte danach greifen, aber blitzschnell wurde die Frucht zurückgezogen.
»Nicht so eilig, mein kleiner Freund! Wenn ich dir einen Gefallen tue, erwarte ich natürlich das Gleiche von dir.«
»Was willst du?«
Der Matrose grinste anzüglich. Ein dünner Speichelfaden lief aus seinem Mundwinkel und tropfte über das Kinn. »Heute Nacht, bei der Hundswache, komme ich zu dir, dann wirst du sehen, was ich von dir will.«
Karem konnte sich überhaupt nicht vorstellen, was er dem Matrosen für den Apfel geben konnte. Er war ein Sklave und besaß außer seinen Kleidern am Leib nichts mehr. Der Mann war inzwischen näher gerückt. Sein behaarter Arm legte sich schwer auf
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