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Das Flüstern des Windes (German Edition)

Das Flüstern des Windes (German Edition)

Titel: Das Flüstern des Windes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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zwanzigtausend, eher mehr.«
    Ein Stöhnen durchlief die Reihen der anderen Generäle.
    »Wie sieht es mit der Befestigung der Stadt aus?«, verlangte der Fürst zu wissen.
    »Die Arbeiten gehen voran, aber ich muss meiner Meinung Nachdruck verleihen, dass Melwar praktisch nicht zu verteidigen ist. Die großen Tore unserer Stadt können nur notdürftig verbarrikadiert werden, und die Befestigungsmauern sind in schlechtem Zustand. Hinzu kommt der nicht unwesentliche Faktor, dass die Bewohner der umliegenden Dörfer hier Schutz suchen und eine große Behinderung darstellen. Die ganze Stadt gleicht praktisch einem Feldlager. Wir haben das Vieh zusammengetrieben, aber es gibt nicht genug Ställe in der Stadt, um alle Tiere aufzunehmen. Große Koppeln mussten errichtet werden.« Avetar seufzte. »Praktisch gibt es kein Durchkommen mehr. Alle Straßen sind verstopft. Unsere Armee kann nicht innerhalb der Mauern operieren, und im Ernstfall gibt es keine Möglichkeit, Truppenteile schnell zu verschieben. Wir haben aber nicht genug Männer, um an der ganzen Stadtgrenze entlang Soldaten zu platzieren. Unsere einzige Hoffnung war unsere Beweglichkeit, damit ist es seit der Landflucht vorbei.«
    Der General nahm wieder Platz.
    Ronders Gesicht zeigte Verzweiflung. »Wann rechnen wir mit dem Angriff?«
    Ein anderer militärischer Führer ergriff das Wort. »Unsere Spione berichten uns, dass die gegnerischen Vorbereitungen auf Hochtouren laufen. Canai hat ein riesiges Heerlager für seine Truppen am Fuße des Schlosses eingerichtet.«
    »Wie lange noch?«, unterbrach ihn Ronder ungeduldig.
    »Zwei, vielleicht noch drei Wochen. Unsere Meteorologen sagen schwere Regenfälle für die nächste Zeit voraus, die Canai hoffentlich bei seinem Vormarsch behindern.«
    »Ich kenne den König, er wird sich durch schlechtes Wetter nicht aufhalten lassen, also gehen wir besser von zwei Wochen aus. Wie stehen unsere Chancen?«
    General Sandor suchte Ronders Blick. Er überlegte für einen kurzen Augenblick, ob er lügen sollte, aber der Fürst war ein aufrechter Mann, der die Wahrheit verdient hatte. »Sieg? Es wird keinen Sieg geben! Wenn uns die volle Wucht seines Angriffes trifft, können wir uns vierundzwanzig Stunden halten!«
     
     

8.
     
    Der Abend war gekommen. Die Sonne verschwand als feuriger roter Ball hinter den hohen Baumwipfeln des Waldes. Ein kühler Abendwind ließ Karem frösteln, der von den Zinnen der Stadtmauer das Naturschauspiel beobachtete. Er zog den weiten Mantel enger um sich und rieb seine kalten Hände gegeneinander. Der Winter ist nicht mehr fern, dachte er.
    Nach langer Zeit würde er wieder Schnee sehen. Seine Gedanken wanderten zurück in die Kindheit, und er dachte an seine verlorene Familie. Bilder von Djoran, Medak, Gram und Marga stiegen in ihm auf und längst verblasste Erinnerungen wurden in ein farbiges Licht getaucht.
    Seine Augen suchten den Horizont ab. Dort, in der Ferne, lag irgendwo das kleine Dorf, in dem Lelina lebte. Ob sie ihm jemals verzeihen konnte? Die Sehnsucht nach ihr brannte in seinem Herzen. Warum hatte er ihr nie gesagt, wie sehr er sie liebte? Was hatte ihn veranlasst zu schweigen?
    Verwirrt schüttelte er den Kopf.
    Als er Schritte hinter sich hörte, wandte er sich um. Fürst Ronder kam über die Mauerbrüstung auf ihn zu. Seine schlanke Figur zeichnete sich als schwarze Silhouette vor dem roten Himmel ab. Karem erkannte ihn an der geschmeidigen Art, sich zu bewegen.
    »Ich habe dich gesucht, mein Freund!«, sagte der Fürst, als er heran war. Sein Atem ließ kleine, weiße Wolken in die Abendluft aufsteigen. »Es ist kalt hier oben, aber es ist ein guter Platz zum Nachdenken. Die alltäglichen Sorgen wirken bedeutungslos gegenüber der Weite dieses Landes.«
    Karem blickte ihn offen an. Die Jugend im Gesicht des Fürsten war einer Reife gewichen, die man sonst nicht darin entdeckte.
    »Zeit spielt für das Land keine Rolle«, sprach Ronder weiter. »Die Erde, die Felsen, die Bäume und das Meer, sie waren schon immer und werden noch da sein, wenn die Erinnerungen an uns längst Legenden geworden sind.«
    Der Fürst war in einer eigentümlichen Stimmung. Wehmut umgab ihn wie eine unsichtbare Aura. Ein Gefühl, das Karem gut kannte.
    »Kann ich dich etwas fragen, Herr?«
    Für einen kurzen Augenblick lächelte Ronder. »Bitte nenn mich bei meinem Namen. Was möchtest du wissen?«
    Karem lehnte sich gegen die Brüstung. Seine Augen forschten im Gesicht des Fürsten. »Du hast die

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