Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
andermal vielleicht. Okay?« Er wandte sich ab.
Isabella, die einen kurzen Blick auf seine Handfläche geworfen hatte, nickte nur. Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. Adrian fand, sie sah besorgt aus.
»Okay«, meinte sie. »Verschieben wir es auf ein andermal.«
»Geht jetzt schlafen«, sagte Talbot in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Wir müssen morgen früh raus.« Er wies jedem von ihnen einen Platz unter dem behelfsmäßigen Zelt aus Tannenzweigen zu, achtete darauf, dass sie genügend Decken hatten, und schichtete noch ein wenig Holz aufs Feuer, ehe er sich auch selbst hinlegte.
Mehrfach erwachte er während der Nacht und machte dann jedes Mal einen Rundgang ums Lager, doch alles war ruhig. Adrian und Isabella lagen dicht beieinander, und Talbot sah, dass der Kopf des Mädchens an der Schulter des Jungen lehnte.
Als er das nächste Mal wach wurde, war es fast fünf Uhr und es dämmerte bereits. Die ersten Vögel begannen zu singen. Zeit aufzubrechen. Bevor er Adrian und Isabella weckte, packte er sämtliche Sachen zusammen und räumte sie in den Wagen. Erst als er sicher war, nichts zurückgelassen zu haben, weckte er die beiden. Verwundert und schlaftrunken, blickten sie um sich, waren allerdings viel zu müde, um sich darüber zu mokieren, dass sie die Nacht fast Wange an Wange verbracht hatten …
Talbot schob die beiden vor sich her, die wie Zombies über den Waldpfad zum Auto wandelten und wortlos auf die Rückbank krochen.
Sie hatten den Wald kaum verlassen, da waren Adrian und Isabella schon wieder eingeschlafen. Ihr nächstes Ziel war die Schweizer Grenze.
Lycanthropie
E 43, ungefähr 20 Kilometer nördlich von Lindau am Bodensee
Im Morgengrauen flog die Landschaft vorbei.
»Was sind Sie eigentlich?«, fragte Adrian, immer noch etwas schläfrig. »Engländer oder Schotte?«
»Waliser«, sagte Talbot. Er schaltete das Radio ein.
»Wohin fahren wir überhaupt«, wollte Isabella wissen.
»In die Schweiz«, sagte Talbot. »Ich dachte, du hättest gestern Nacht zugehört.«
»Sehe ich vielleicht aus wie ein Computer, der sich alles merken kann?«
»Dachte, du könntest in die Zukunft sehen?«, sagte Talbot.
»Kann ich auch.«
»Na klar.«
»Soll ich es beweisen?«
»Nein.« Talbot drehte das Radio auf. Irgendein gitarrenlastiges Stück mit wummernden Bässen, das er nicht kannte. Im Rückspiegel sah er, wie sich Isabellas Lippen weiterbewegten. Doch falls sie tatsächlich noch etwas sagte, ging es dankenswerterweise in der lauter werdenden Musik unter. Und er war definitiv kein Hellseher.
Sie fuhren mit kleineren Pausen bis Zech weiter, wo sie gegen halb acht eine längere Rast einlegten und in einem Supermarkt abgepackte Sandwiches und frisch belegte Brötchen kauften. Dazu tranken sie Cola.
Talbot hatte sich vorgenommen, bis zum Mittagessen in Cologny zu sein. Das war noch ein ganzes Stück. Die größte Schwierigkeit würde sein, über die Grenze zur Schweiz zu kommen. Als er Isabella und Adrian nach ihren Pässen fragte, ahnte er die Antwort im Grunde schon im Voraus: Sie hatten keine.
Doch bis sie die Grenze erreichten, hatte er ja noch Zeit. Solange er sich mit einem Problem nicht sofort auseinandersetzen musste, war es vollkommen unnötig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Major McGuffins Worte, die er auf der Akademie so oft gehört hatte, fielen ihm plötzlich wieder ein: Befassen Sie sich mit den Problemen in der Reihenfolge ihres Auftretens. Daran würde er sich halten. Für alles gab es eine Lösung, ihm würde schon noch etwas einfallen. Das war immer so, schließlich war er mal ein ziemlich guter Agent gewesen! Auch in diese Villa reinzukommen, würde sicher kein Spaziergang werden, aber es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn er es nicht schaffte.
Talbot konnte ja nicht ahnen, dass genau der ihm in einem schwarzen Saab auf den Fersen war.
E 27, 15 Kilometer nördlich von Lausanne, Schweiz
Agent Millycent Miller sah vom Bildschirm auf und fragte: »Sag mal, Maxwell, dieser Talbot – was hat Night damit gemeint, er habe vielleicht Hunger gehabt und ein paar Schafe gerissen?«
Ohne es zu wissen, hatten sie Talbots Citroën in der Nacht längst überholt. Sie hatten die Schweizer Grenze hinter sich gelassen und bereits vor etwas mehr als einer Stunde Bern passiert. Bei Chardonne hatten sie eine kurze Pause eingelegt. Purdy lenkte den Van gerade wieder auf die E 27 zurück. Es herrschte kaum Verkehr und sie kamen gut voran.
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