Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
ein Mann wie jeder andere sein. Erst handelt der Roman von einem Mangel an Erfahrung und Kenntnis, nun geht es um ein Zuviel an Kenntnis. Aufklärung braucht ein Glücksversprechen. Das einzig gültige Glücksversprechen unter den Bedingungen des amour propre ist die Einmaligkeit, ein von Gier besetztes Ideal wie der Gewinn.
Der scharfe Blick der Madame de La Fayette, den wir um die präzise Perspektivität Niklas Luhmanns verstärken, verkennt nicht das Hochgespannte dieser Selbstachtung, die von keinen praktischen Friedensschlüssen weiß. Zugleich imponiert der Charakter dieser jungen Frau, der Prinzessin. Erst ist sie zu unerfahren, dann sieht sie sich von Erfahrung überwältigt, aber stets versucht sie, die GESETZGEBERIN IHRES EIGENEN LEBENS zu bleiben, ihrer ZÄRTLICHEN KRAFT .
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Eine Vorratssammlung moderner Fragen und Romanstoffe zum Begriff der passion von Niklas Luhmann
Die Landkarte der Gefühle, welche die Madame de La Fayette für ihren Roman voraussetzt, gestattet nicht nur den Vergleich mit anderen Romanen, sondern auch den mit Erfahrungen des 20. und 21. Jahrhunderts, ja mit solchen in den USA , Kanada, Australien oder in Asien, die keine plausible Verknüpfung mit den Geschehnissen um die Prinzessin von Clèves und den Herzog von Nemours besitzen. Vergleichen heißt: Unterschiede machen. Nichts in dem frühmodern-antiken Roman entspricht unmittelbar dem inzwischen durch Mutation und Selektion veränderten »System« der Liebe.
Der zugleich auf das 17. und 21. Jahrhundert (von ihm aus Zukunft) gerichtete Blick Luhmanns betont das Paradoxe am Kommunikationsmedium Liebe. Sie soll Grundlagen für Dauerverhältnisse schaffen, sagt er, und sie habe eine gesellschaftliche Funktion (nicht nur, wenn es um die Mobilisierung von Wehrkraft im Dritten Reich oder von Wirtschaftselan beim Wiederaufbau nach 1948 geht). Zugleich besitze sie ein Programm der Leidenschaftlichkeit und Plötzlichkeit, die eine Kontradiktion zu DAUER und PRAKTIKABILITÄT enthalte. Insofern sei passion nicht nur eine »Anomalie«, sondern »eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit«.
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»Passionierte Liebe ist eine unwahrscheinliche Institution.«
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Diese These hat Luhmann zunächst 1969 in einem seiner Seminare vorgetragen. 1982 erschien sein Buch Liebe als Passion . Nachträge seiner Theorie finden sich im Kommunikationskapitel von Die Gesellschaft der Gesellschaft (Frankfurt 1997). Drei Bereiche schließt Luhmann von seiner Analyse aus: Kauf der Liebe, denkende Besinnung auf Liebe (also Wege der Wahrheit), Zwang zur Liebe. Die Medien Geld, Wahrheit und Macht, unvereinbar mit den Regeln, die sich die zärtliche Kraft gibt, bilden den Hintergrund, vor dem Luhmann die Gelände der Liebe abbildet.
Die Welt ist komplex ...
Komplex heißt, daß die moderne Welt mehr Möglichkeiten des Erlebens und Handelns bietet, als je aktualisiert werden können. Geboren in Canberra, die Mutter Russin, aufgewachsen in Hildesheim, tätig in New York, im Urlaub in Thailand, in der kommenden Woche verabredet mit Kollegen in Kapstadt. Ist dies das Leben einer Journalistin, einer Wissenschaftlerin, eines Unternehmers? Eines Headhunters, der Unternehmer suchen hilft? Oder interessiert die Suche nach Liebesverhältnissen auf dem Weg durch so unterschiedliche Orte des Planeten? Für das Personal des Romans Die Prinzessin von Clèves wäre solch räumliche Komplexität (es kommen hinzu die zeitliche, die funktionale, die persönliche, die sachliche) unwahrscheinlich. Wie auf Schienen bewegen sich die Personen in jenem Roman. Wenige dieser Schienen haben Geltung in der modernen »Würfel-Gesellschaft« (»Dice-Society«).
Das Erleben der Partner soll gemeinsam sein ...
Amour propre , die Selbstachtung, hat seit dem 17. Jahrhundert eine stille, aber markante Karriere gemacht. Sie hat sich, so Luhmann, dahingehend spezialisiert, daß sie die Fähigkeit, sich aus Selbstliebe zurückzunehmen (das heißt, eine Reserve zu bilden, die im Gegenüber dessen Eigenliebe einräumt), durch Projektion ersetzt. Der moderne amour propre bildet, so Luhmann, den Anderen entsprechend dem Ich-Bedürfnis ab. Man definiert den Anderen so, daß er das eigene Erleben bestätigt, das Erleben, das man selbst wünscht. Diese Einstellung aber, sagt Luhmann, ist dafür prädestiniert, das Erleben des Anderen zu verfehlen.
Die Schicksale des amour pur ...
Das Problem der zärtlichen Kraft ist nicht deren ÜBERWÄLTIGUNG DURCH SINNLICHKEIT (oder bei Freud, kritisch und nicht
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