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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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Grünfläche zwischen Trottoir und Straße seinen Kot niederlegen, während seine Herrin einkauft. Die Ladenbesitzerin des Brotladens, eine zuvorkommende Rumänin, interveniert. Das kann der Hund da nicht machen! Das sind seit gestern Beete. Man sieht auch, daß dort, wo früher Gras war, jetzt Blumen gepflanzt sind. Die Hundebesitzerin widerspricht. Wohin soll der Hund denn gehen? Irgendeinen Platz muß er haben.
    Gestern erst, an einem Sonnabend, hatte eine Gruppe Freiwilliger, es waren Kinder und Heranwachsende, den verdreckten Grasstreifen umgegraben, ihn mit Muttererde aus Plastiksäcken belegt und auf diesem Boden Pflanzen gesetzt. Acht Stunden lang haben sie mit Schaufeln und Erdauflockerungszinken den Boden bearbeitet, freundlich Auskunft gegeben, was sie da tun. Ja, die Erde und die Pflanzen sind vom Gartenbauamt der Stadt gratis zur Verfügung gestellt worden. Ohne Lohn arbeiten auch sie, die Bodenbearbeiter. Sie helfen einander, belehren sich gegenseitig über die permanente Verbesserung der Arbeitsmethode.
    Das Besondere der Initiative liegt darin, daß die Bodenroder sich mit den acht Ladenbesitzern in dieser Straße abgesprochen haben. Die Läden übernehmen in der kommenden Zeit die Aufsicht über diese »Gärten«, wenn die Gärtnertruppe selbst längst woanders tätig sein wird. So ist hier spontan eine kommunale Struktur entstanden, die für den Hirtenhund fatal bleibt. Die Besitzerin des Hundes ist in keiner Weise einverstanden. Sie kann aber den Hund auch nicht einfach auf die frisch gesetzten, sozusagen noch jugendlichen Blumen loslassen. Sie würde es sich auf Dauer mit der Brotladenchefin verderben. So knufft sie den Hund, der einen Moment in den Laden hineindarf (was sonst verboten ist). Sie müssen in Zukunft, sagt die Rumänin, eine Leine mitbringen und den Hund draußen festbinden. Wir bringen dort einen Ring an vor der Tür. Die agile Person ist es gewohnt, eine ganze Gruppe einsamer Leute vor ihrem Laden täglich bei einer Tasse Kaffee zum Zusammensein zu animieren. Das ist jetzt möglich mit Blick auf eine öffentliche Blumenanlage.
»Eine Schweizer Stiftung soll über mein Liebstes wachen«
    Immer hatte sie gehofft. Siebenmal hatte sie ein Kind verloren. Eines dieser Sternenkinder war von ihrem Körper bereits angenommen, sie war mit ihm vertraut gewesen, und dann wurde es doch tot geboren. Die psychologische Begleitärztin, der sie und ihr Lebenspartner sich anvertraut hatten, riet, keine Hoffnung mehr zu haben. Als eine Frau von 39 Jahren hatte Kathrin die Zeit versäumt, nämlich durch einen Karrierelauf die Jahre verloren, in welchen sie hätte Mutter sein können. Sie werde zerbrechen, wenn sie stets weiter Erwartungen hege und lebensgefährliche Versuche mit der Leistungsfähigkeit ihres Körpers anstelle.
    So klug, wie es die Ratschläge der Psychologen waren, konnte Kathrin sich nicht verhalten. Und so hatte sie dann überraschend und gegen alle Wahrscheinlichkeit eine Tochter geboren. Immer im Austausch gegen das Versprechen, nicht mehr zu hoffen, das sie aber keinesfalls zu erfüllen gedachte. Sie nannte das Kind, das jetzt 28 Jahre alt wurde, nach einer Pflanze.
    Seit letztem Jahr ist Kathrin aus Firma und Beruf ausgeschieden. Sie hat dann eine Stiftung gegründet, die ihrer Satzung nach Friedensforschung betreibt. Aber das alles geschieht nur für das Kind, auf das diese Mutter eine gehörige Portion Ängstlichkeit übertragen hatte. Oft fragt sie sich, wie es mit den Jahrzehnten des Jahrhunderts weitergehen werde. Ihren wertvollen Schatz zu hüten und durch das Jahrhundert zu geleiten, dafür hat sie die Stiftung begründet. Zur Mitte des Jahrhunderts wäre ihr Kind so alt, wie sie selbst jetzt ist. Kathrin und ihr Lebenspartner, von dem der in die Stiftung investierte Reichtum stammt, haben einander nicht geheiratet, weil sie glauben, durch ihre Keuschheit der Institution Ehe gegenüber mehr Glück, vor allem bei der Realisierung von Nachwuchs, zu haben. Sieben Forscher und Forscherinnen arbeiten in einem Vorort von Genf hingebend an Daten, wie Gleichgewichte auf dem Globus gefördert und gefährliche Zonen saniert werden könnten: So sehr möchte Kathrin ihr Kind vor Schaden bewahren.

2
Uralte Freunde der Kernkraft
Uralte Freunde der Kernkraft
    Bei der Erdbestattung von atomarem Müll in einer der Wüsten Australiens, in deren Tiefe sich ein Uraltgebirge (noch aus der Zeit, als sich der Planet formte) befindet, stießen Forscher, die den Fortschritt der

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