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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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Herstellung der ›droits fondamentaux‹ gegen die usurpierten Rechte des Königs, der sich die Rechte der Parlamente, der Stände, der Landschaften unterworfen hat. Wenig später geht es um die Wiederherstellung der virtus , der Tugend. Insgeheim soll die revolutionäre Bewegung die »Natur der Gesellschaft« herstellen, die Natürlichkeit des Umgangs, der Kleidung, der Eigenschaften, der Vermögen. Erst im Schwunge des Jahres 1 (»L’an 1 de la liberté«) macht sich eine zweite Strömung bemerkbar: der Anbruch des neuen Zeitalters, der Elan so vieler Partizipanten, daß man die Freiheit selbst als Gelegenheit ergreift, die Maschinerie der Menschheit in Beschleunigung zu versetzen.
    Bei Hobbes vollzieht die Revolution eine Kreisbewegung: von der Monarchie über den Bürgerkrieg zur Adelsherrschaft und weiter zur Diktatur der Gemeinen und von dort zurück zum Königtum. Der Staatstheoretiker sinnt auf Verminderung der Greuel, die diese Kreisbewegung verursachten: »circular motion«. Dies soll ohne Bürgerkrieg geschehen, dem Souverän anvertraut. Diderot schließt sich dem an, ja, eine jede Kassandra würde dies so tun. Er spricht 1780 davon, daß eine kommende Revolution in einer selbstgewählten Diktatur enden werde, aus der dann neue Kreise folgen würden.
    Demgegenüber behauptet der realistische Marx, daß eine revolutionäre Bewegung niemals zum ursprünglichen Punkt zurückkehren werde. Es hätten sich nämlich im Moment einer Umkehr des Impulses oder einer »Rückkehr« alle Verhältnisse gewandelt.

    Abb.: Gebildete Leserin in der Zeit der Französischen Revolution.
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    Abb.: Französinnen haben ihre Ketten gesprengt.
    Der Astronom Herschel beschrieb die Revolutionen der Erde um sich selbst, die der Erde um die Sonne und die des Sonnensystems (»in Großer Revolution«) um das Zentrum der Galaxie (und vielleicht kreisen auch ganze Pulks an Milchstraßen um einen gemeinsamen Schwerpunkt). Für die Erde läßt sich behaupten, führte er aus, daß sie diese kreisende Bewegung nirgends verläßt und rein theoretisch zu einem Ausgangspunkt jeweils zurückkehren muß. In seiner Praxis aber durchläuft der Erdball eine Zone, die er verlassen hat, nie ein zweites Mal. Und er durchläuft sehr verschiedenartige Verdichtungen der Materie im Kosmos, Dunkelwolken; er und die Sonne geraten in die Nähe anderer Sterne. Ja, es ist anzunehmen, daß ein unsichtbarer Begleiter, ein brauner Zwerg, den Bewegungszyklus des Sonnensystems in großen Zeitabständen durch seine Nähe stört. Wie Zeus, so Herschel, irritiert er die Kometenmassen in der Oortschen Wolke, von wo aus sie wie Blitze herabstoßen in die Nähe der Planeten und der Sonne.
    Für ganz ausgeschlossen hielt Marx, der ja Darwins Werk verehrte und lebenslänglich Materialist blieb, sich also gegen romantische Verführung verwehrte, daß sich Revolutionen von ihrem Boden erheben und hyperbolisch eine zweite Realität gründen könnten. In diesem Fall müßte, notierte er (»für Herschel«), die zweite Realität in der ersten bereits vorhanden sein. Das allerdings wollte er gern glauben: daß alles das, was sich für wirklich hielt, mehrteilig sei, quasi im Bauch einen Embryo trage, so wie es schon Heraklit gesagt habe. Dies wäre aber so wenig Hyperbel und Ende der Bodenhaftung wie die Geburt eines Menschen, der ja durch unsichtbare Fäden nicht nur mit der Mutter, sondern mit allen Vorfahren der Menschheit im Bunde sei.
Condorcet stürzt sich in die Wogen der Revolution
    Condorcet, den Jules Michelet den »letzten großen Philosophen des 18. Jahrhunderts« nennt, Nachfolger von d’Alembert als Sekretär der Akademie der Wissenschaften, Briefpartner von Voltaire, dieser ernste Mann warf sich in die »Wogen der Revolution«. Zwei Jahre zuvor hatte er seine junge Frau Sophie geheiratet. Sie, eine geborene Grouchy, war 22 Jahre alt, 21 Jahre jünger als dieser Mann. Sie war bekannt geworden durch ihren Aufsatz Lettres sur la sympathie . Sie hatte Condorcet erklärt, als er um ihre Hand bat, »ihr Herz sei nicht mehr frei«. Sie sei unglücklich verliebt in einen Mann, der sie nicht wiederliebe. So lebten die zwei Condorcets zwei Jahre keusch, jeder in großer Achtung vor den Gefühlen des anderen. Dann aber, an jenem Julitage, an dem die Bastille fiel, in der gewaltigen emotionalen Aufregung des Moments, empfing Frau Condorcet ihr einziges Kind. Es wurde neun Monate später, im April 1790, geboren.
    Condorcet begann in dieser Zeit eine Art drittes Leben.

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