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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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wollte er ihr zuwinken.
    Sie stieß einen gellenden Schrei aus. Der Schrei wirkte erlösend und gab ihr die Bewegung zurück. Anne ließ das Messer fallen, machte kehrt, rannte zur Garderobe, warf sich einen Mantel über, schlüpfte in irgendwelche Schuhe, riß den Schlüssel aus der Haustür und hastete auf die Straße zu ihrem Wagen. Mit heulendem Motor raste sie durch die leeren Straßen. Sie hatte kein festes Ziel im Auge, aber irgendein Instinkt lenkte sie in Richtung des Hotels, in dem Adrian wohnte.
    Tränen rannen über ihr Gesicht. Die Lichter auf den regennassen Straßen verwischten sich zu unförmigen Farbklecksen. Sie war unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen; nur Guidos Bild, wie er starr in seinem Lehnstuhl saß, tauchte immer wieder vor ihr auf. Mit dem Ärmel wischte Anne über ihre Augen, als versuchte sie, ein Trugbild wegzuwischen. Vergebens. Sie weinte laut, ließ ihrer Verzweiflung freien Lauf und suchte so das Bild zu vertreiben; doch die Erscheinung hatte sich unauslöschlich in ihre Sinne eingegraben.
    Vor dem Hotel ließ Anne das Auto unverschlossen stehen. Später konnte sie sich nicht einmal mehr erinnern, ob sie den Motor abgestellt hatte. Dem verschlafenen Portier nannte sie ihren Namen und bat dringend, Kleiber zu wecken, und als dieser sein Telefon nicht abhob, stürmte Anne die Treppe hinauf, Zimmer 247, schlug mit der Faust gegen die Tür und rief mit leiser, flehender Stimme: »Adrian, ich bin es, mach auf!«
    Als Kleiber öffnete, warf Anne sich ihm an den Hals, sie küßte ihn fieberhaft, und ihre Finger krallten sich in seine Arme. Adrian wußte nicht, wie ihm geschah, aber er spürte ihre Verwirrung und daß es sie beunruhigte. Es schien ihm nicht angebracht, Fragen zu stellen, deshalb strich er ihr nur sanft über das Haar.
    Das drängende Bedürfnis, ihn zu spüren, ließ sie alles um sich herum vergessen. Es kam ihr vor, als beobachtete sie aus weiter Ferne, wie sie, ohne von ihm abzulassen, sich den Mantel vom Körper zerrte, Adrian auf den weichen Boden zog und ihre Schenkel um ihn schloß. Wie eine Spinne mit ihrer Beute biß sie, immer noch schluchzend, auf Kleiber ein, küßte ihn verzweifelt wie im Fieber. Mit der Leidenschaft einer langen Versagung fiel sie über ihn her, bis Kleiber endlich begriff, daß Anne von ihm geliebt werden wollte.
    Kleiber hatte sich nach ihrer Zuneigung gesehnt, doch jetzt, unter diesen ungewöhnlichen Umständen, fühlte er sich geschockt und ließ es eher über sich ergehen, als daß er in der Lage gewesen wäre, ihre Leidenschaft zu erwidern.
    Atemlos blieben beide schließlich auf dem Teppich liegen. Anne starrte in die Luft, Adrian sah sie von der Seite an. Ohne ihren Blick von der Decke des Hotelzimmers zu wenden, sprach Anne tonlos, ohne jeden Ausdruck in der Stimme: »Zu Hause in der Bibliothek sitzt Guido.«
    Kleiber schwieg. Erst als sie mit ihrem Gesicht dem seinen ganz nahe kam, sah er sie an.
    »Hast du gehört, was ich gesagt habe? Zu Hause in der Bibliothek sitzt Guido.«
    »Ja«, antwortete Kleiber, aber an seinem Gesichtsausdruck konnte Anne erkennen, daß er ihre Worte nicht ernst nahm.
    »Mein Gott!« brach es aus ihr heraus, »ich weiß, daß es verrückt klingt, aber glaube mir, ich bin bei klarem Verstand.« Und dann berichtete Anne von ihrem nächtlichen Erlebnis. Obwohl sie sich mit ganzer Kraft mühte, ruhig zu bleiben, wurden ihre Worte immer zerfahrener, sie stotterte hilflos und schließlich begann sie zu schluchzen wie ein Kind, das sich unverstanden und hilflos fühlt. »Ich sehe dir doch an, daß du mir nicht glaubst«, sagte sie weinend.
    Kleiber hielt es für besser, nicht zu antworten. Er suchte nach ihrer Hand, aber Anne zog sie zurück. Da nahm Adrian ihren Mantel: »Zieh dich an, du frierst ja«, sagte er, und Anne gehorchte.
    Für Minuten saßen beide stumm auf dem Rand des Bettes nebeneinander. Ein jeder fühlte die Wärme des anderen, und obwohl sie sich so nahe waren, empfanden beide anders. Adrian versuchte eine Erklärung zu finden für Annes plötzlichen Ausbruch von Leidenschaft. Natürlich war er fest davon überzeugt, daß sie einem Trugbild erlegen war, vielleicht sogar einem Wunschbild wie ein Ertrinkender, in dessen Phantasie auf einmal die rettende Insel auftaucht. Daraus jedoch einen Ausbruch sexueller Leidenschaft abzuleiten, überforderte sein Einfühlungsvermögen. Anne hingegen fühlte sich nach diesem Ereignis besser. Sie sah keinen Anlaß, über die leidenschaftliche

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