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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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an«, hörte sie Melissas Stimme wie aus weiter Ferne an ihrem Ohr, »laß es einfach in dich einsickern.«
    Erst fühlte sie sich fallen, dann flog sie. Flieder war nicht nur ein Name, sondern ein bestimmter Ruf in der Luft, der sie an Orte zog, wo sie dann im Zwielicht herumkroch. Salbei war ein ganzes Universum, ein strenger und starker Geruch. Aufhören! schrie eine sehr menschliche Stimme in ihr. »Laß es in dich einsickern«, hörte sie wieder Melissas beruhigende Stimme, summend, brummend, schwirrend. Madrone hatte Angst, gestochen zu werden. Sie hatte eine Ahnung von Blutgeruch in der Nase. »Aufwärts!«, hörte sie Melissa rufen. Madrone hätte gern wieder ihre menschliche Gestalt angenommen. Aber sie hatte längst keine Hände, keine Arme mehr, statt dessen fast durchsichtige Flügel, die schwirrend die Luft durchschnitten, sie von allem forttrugen. Langsam versank ihr früheres Leben hinter ihr.
    Nicht, Mutter, nicht jetzt. Wo kommst du plötzlich her? Du bist doch schon so lange fort, weit, weit weg, und ich will nicht, ich will jetzt nicht in deine milchweißen, warmen Arme an deine Brust gezogen werden. Ein Schrei in der Luft, schwirrend im Klang, Madrone wußte nicht, war es das immer lauter werdende Summen der Bienen oder war es ihre eigene Stimme gewesen?
    »Laß dich fallen«, flüsterte Melissa von irgendwoher, »laß dich aufwärts tragen! Folge nur dem süßen Duft!«
    »Laß dich aufwärts tragen!« flüsterten auch die unzähligen summenden kleinen Schwestern um sie herum. »Aufwärts! Flieg!«
    Ja, warum nicht? Warum nicht fliegen, wenn es so leicht und mühelos war? Ihre Arme, ihre Flügel schwirrten, summten, trugen sie hoch und höher, leicht und mühelos. Sie flog fort von allem, von aller menschlicher Erinnerung, allem menschlichen Terror, aller Qual, alles versank unter ihr. Leichtigkeit, Lebendigkeit erfüllte sie.
    Madrone fand sich zusammengekrümmt auf dem Boden der Höhle am ausgetrockneten Flußufer liegend. Sie hatte keine Ahnung wie sie hierher gekommen war. Sie fühlte sich aber warm und geborgen, wie ein Baby auf Mutters Schoß, geborgen wie eine Biene im Bienenstock. Sie war warm zugedeckt mit Honig. Bienen umschwärmten sie ständig, deckten sie mit ihren pelzigen kleinen Körpern warm zu, brachten Honigtröpfchen auf ihre Lippen. Das ununterbrochene Krabbeln der Bienen auf ihrem ganzen Körper brachte Madrones Nerven zum klingen und singen. Sie fühlte sich unglaublich lebendig und wach. Dann fühlte sie einen Stich in die Stirn, ihr Kopf fing an zu pulsieren, zu hämmern. Aber es war kein Schmerz, nicht in dem Sinne wie bei den Menschen. Schmerz schien in dieser neuen, fremden Welt etwas Unbekanntes, Fernes zu sein.
    Sie spürte Dunkelheit um sich herum, wie im Dämmerlicht eines Bienenkorbes. Duftende Bienenkörper streiften sie pausenlos, sie konnte riechen, aus welcher Himmelsrichtung die jeweilige Biene ihre süße Nektarlast herbeigebracht hatte. Sie hörte, wie andere Bienen diese Botschaft aufnahmen und davon flogen. Sie witterte den Geruch von Bienenbrut, nahm den goldenen Duft von Sonnenglast wahr. Und alles wurde übertönt vom Geruch der Bienenkönigin, ein Geruch, der sie völlig durchdrang und ihr im tieferen Sinn die Richtigkeit allen Daseins vermittelte. In der Weise, wie der Geruch von Muttermilch ein Baby von der Wirklichkeit allen Lebens überzeugte.
    Ich erinnere mich genau, wollte sie rufen, aber sie hatte keine Worte mehr dafür. Oh Mutter, ich habe dich immer so vermißt. Doch bevor sie in den Geruch der Bienenbrut versinken konnte, schwoll ihr Bienenkörper an, wurde immer länger. Sie war jetzt die Bienenkönigin, wohlgeborgen in Gelee Royale, mit neuem, starken Körper aus dem Larvenzustand hervorgeschlüpft. Mit starkem Flügelschlag ging es hoch in die Sonnenluft, gefolgt vom Hofstaat der Drohnen, die weiter und weiter zurückblieben. Nur die stärkste Drohne vermochte ihr noch zu folgen, konnte sich in einem ekstatischen, glückseligen Moment mit ihr vereinigen und sie mit Samen erfüllen. Sie fieberte diesem Moment entgegen, ersehnte ihn schmerzhaft. Doch bevor es soweit war, verwandelte sie sich abermals.
    Jetzt war sie die Drohne, verzweifelt versuchte sie höher und höher zu fliegen, fühlte langsam ihren Flügelschlag matter und matter werden, versuchte dennoch höher und höher zu steigen, zu dem einen, verrückten, glückseligen Moment, der Gipfel des Lebens war, enthusiastisch die Flügel schwirren zu lassen, um diesen goldenen Körper

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