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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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eines zu Tode gefolterten Kindes, der Schmerz jedes winzigen Stücks Plankton in den Wellen, der Schmerz der längst vergangenen Wale.
    Warum sind wir wie wir sind? Du, Yemaya, Mutter aller Dinge, warum schenkst du uns das Leben? Warum? Warum?
    „Nun ja, ich experimentiere gern.“
    Die Stimme klang wie die von Johanna oder Maya, so vertraut. Die tiefe Stimme der Familie, sie kannte sie seit Ewigkeiten.
    „Ja, ich neige zu Extremen“, fuhr die Stimme fort, „ich bin eine Spielernatur, ich spiele um hohe Einsätze. Und kein Spiel ist wirklich reizvoll, wenn du nichts dabei verlieren kannst.“
    Nein, sei nicht die Göttin, komm mir nicht mit philosophischen Dingen, sei meine Mutter, meine eigene Mutter.
    „Aber Kind, was sonst sollte ich sein? Bin ich nicht die Mutter allen Lebens? Gab ich dir nicht mein heiliges Messer, machte ich dich nicht zu meiner Tochter?“
    Das warst du? Ich dachte, es war La Serpiente.“
    „Woher kommt denn die Schlange? Wem hilft die Hebamme, wenn nicht der Mutter und dem neuen Leben? Welches Lebensband kann durchschnitten werden, bevor es neu gesponnen wurde?“
    Ach, ich möchte gewiegt und gehalten werden, dachte Madrone. Die Sonne war wie rotes Feuer auf den Wogen.
    „Aber ich wiege dich auf meinem großen Schoß. Die Wasser der Welt waren deine Wiege.“
    Deine Liebe kann ich nicht überleben, Mutter. Sie ist zu stark für mich. Ich löse mich auf, verliere mich in dir. Ich liebe dich, aber ich möchte ich selbst sein. Aber ich kann mich nicht retten. Vergib, daß ich dich verfehle, Mutter.
    Die Sonne war untergegangen. Den Himmel erfüllte ein orangefarbenes Glühen, das allmählich verblaßte.
    „Aber du hast mich nicht verfehlt, mein Kind. Du hast nur versprochen, mein Kind zu sein, mein Instrument.“
    Mein Instrument. Wie eine Trompete, eine Harfe oder ein Muschelhorn. Musik durchpulste Madrone. Sie hörte Birds Song und Musik aus den tiefsten Schichten ihrer Seele gab ein Echo. Es summte wie viele tausend Bienen. Ein königlicher Duft lag in der Luft, wie die unendliche Süße des lustvollsten Moments, wenn alles dem Höhepunkt zustrebt. Und danach das Gleiten in die Tiefe, getragen von einer endlosen Reihe von Wellen...
    Es war also kein Messer, dachte Madrone befreit, sondern ein anderes Instrument. Sie fühlte sich leicht, so leicht, als hätte sie eine zentnerschwere Last abgeworfen. Sie schwebte schwerelos, umsummt von vielen tausend goldfarbenen Bienen, die Luft vibrierte, und sie verbreiteten einen süßen Duft. So süß, süß...
    ✳✳✳
    „Da drüben!“ schrie Melissa. „Laß die Stelle nicht aus den Augen“, befahl Isis, „alles fertig? Klar zum Reffen!“
    Unter der riesigen Wolke von Bienen, dicht über dem Wasser, zeichnete sich ein menschlicher Körper ab, der wie Treibholz im Wasser lag, von Bienen umsummt.
    „Das ist kein Toter“, rief Melissa, „die Bienen-Schwestern singen von Angst und Stress, aber nicht von Tod und Verderben. Schnell!“ Isis manövrierte das Boot so dicht an den treibenden Körper wie sie es verantworten konnte. „Noch näher geht es nicht“, rief sie schließlich, „willst du hinschwimmen?“
    Melissa blickte sie entsetzt an.
    „Schon mal ein Schiff gesteuert?“
    „Niemals.“
    Isis seufzte. „Okay. Komm, setz dich hierher und nimm das Ruder. Wir lassen die Segel im Wind schlagen. Dann bleiben wir hier liegen. Wenn das Schiff sich in diese Richtung bewegt, zieh das Ruder in die andere Richtung, klar? Jetzt kannst du die kleinen Schwestern fortrufen, ich möchte nicht gestochen werden.

    ✳✳✳

    Madrone spürte, daß sich etwas verändert hatte. Ja, richtig, dieses Summen war fort. Wie schade, es hatte sie so beruhigt. Vielleicht bin ich schon tot. Vorsichtig öffnete sie die Augen. Wenn dies der Tod war, so war er dem Leben sehr ähnlich. Wasser, Wasser so weit sie sehen konnte, Wasser, das immer dunkler wurde im Zwielicht.
    „Hallo!“
    Sie meinte, jemanden rufen zu hören. Sie versuchte eine Antwort, aber sie brachte keinen Laut über die Lippen. Dann beugte sich ein Gesicht über sie.
    „Du bist es, Madrone?“ schrie Isis, „was, zur Hölle, machst du hier draußen?“
    „Ich ertrinke“, flüsterte Madrone heiser.
    „Das sehe ich. Kannst du diesen Ring festhalten?“ Sie zog Madrones Hand zu dem Tau an einem weißen Rettungsring. Langsam krampfte sich Madrones Hand darum.
    „Kannst du richtig festhalten?“
    Madrone nickte langsam. Ihre andere Hand krampfte sich noch fester um das Tau. Isis' Gesicht

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