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Das fünfte Paar

Das fünfte Paar

Titel: Das fünfte Paar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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haben Sie auch getan, als Sie bei Pat Harvey waren?« Sie nickte. »Sie führte mich in Debbies Zimmer, zeigte mir Fotografien von ihr und fuhr mit mir zu dem Rastplatz, auf dem der Jeep gefunden wurde.« »Und welche Eindrücke haben Sie gewonnen?« Sie starrte ins Leere und dachte angestrengt nach. Schließlich sagte sie: »Ich kann mich nicht an alle erinnern. Das passiert mir oft - auch, wenn ich die Karten lege: Später kommen die Leute wieder her und sprechen mich auf etwas an, das ich ihnen gesagt habe, und ich weiß es erst wieder, wenn ich daran erinnert werde.«
    »Aber etwas wissen Sie doch sicher noch.«
    »Als sie mir Debbies Foto zeigte, wußte ich sofort, daß das Mädchen tot war.«
    »Und wie war es mit ihrem Freund?«
    »Ich sah sein Bild in der Zeitung und wußte, daß er tot war. Ich wußte, daß beide tot waren.«
    »Sie haben also Berichte in der Zeitung gelesen«, folgerte Marino deutlich enttäuscht.
    »Nein«, erwiderte Hilda. »Ich lese keine Zeitungen. Ich sah das Bild des Jungen, weil Mrs. Harvey es für mich ausgeschnitten hatte. Sie besaß kein richtiges Foto von ihm - nur von ihrer Tochter, wissen Sie.«
    »Und woher wußten Sie, daß die beiden tot waren?«
    »Ich fühlte es, als ich die Bilder berührte.«
    Marino beugte sich vor und zog seine Brieftasche aus der Gesäßtasche. »Wenn ich Ihnen ein Foto von jemandem zeigekönnen Sie dann dasselbe tun? Mir Ihre Eindrücke vermitteln?« »Ich werde es versuchen.« Er reichte ihr einen Schnappschuß hinüber.
    Sie schloß die Augen und fuhr in langsam kreisender Bewegung mit den Fingerspitzen über die Fotografie. »Ich spüre Schuldgefühle - aber ich kann nicht sagen, ob diese Frau sie hatte, als das Bild gemacht wurde, oder ob sie sie jetzt hat. Konflikt. Schuldgefühl. Sprunghaftigkeit. In einer Minute faßt sie einen Entschluß, in der nächsten stößt sie ihn wieder um. Es geht hin und her.«
    Marino räusperte sich. »Ist sie am Leben?«
    »Ich fühle, daß sie lebt«, antwortete Hilda, die immer noch über das Foto strich. »Und ich fühle ein Krankenhaus. Etwas Medizinisches. Und Sorge. Ich weiß nicht, ob sie krank ist oder ein naher Angehöriger, aber es ist etwas Medizinisches beteiligt - oder wird sich bald ergeben.«
    »Noch was?« fragte Marino gepreßt.
    Sie rieb weiter sanft über das Bild. »Ein großer Konflikt«, wiederholte sie. »Als wäre etwas vergangen, aber es macht ihr Schwierigkeiten, sich davon zu lösen. Kummer. Und doch glaubt sie, keine Wahl zu haben. Das ist alles.« Sie öffnete die Augen und sah Marino an.
    Sein Gesicht war gerötet, und Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Schweigend steckte er das Foto wieder ein, öffnete seinen Aktenkoffer und holte einen kleinen Kassettenrecorder und einen großen Umschlag heraus, der Szenenfotos enthielt – beginnend mit dem Holzweg und endend mit der Lichtung, auf der die Leichen von Deborah Harvey und Fred Cheney gefunden worden waren.
    Hilda breitete sie auf dem Couchtisch aus, schloß erneut die Augen und begann mit den Fingerspitzen über jede Aufnahme zu fahren. Lange Zeit sagte sie kein Wort. Währenddessen klingelte im Nebenzimmer immer wieder das Telefon. Sie schien es nicht wahrzunehmen. Jedesmal schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Ich kam zu dem Schluß, daß ihre Dienste gefragter waren als die jedes Arztes.
    »Ich spüre Furcht«, begann sie plötzlich. Sie sprach sehr schnell. »Ich weiß nicht, ob sie von dem Zeitpunkt herrührt, als die Fotos gemacht wurden oder ob sich jemand vorher an diesen Orten gefürchtet hat - aber es ist eindeutig Furcht.« Die Augen immer noch geschlossen, nickte sie heftig. »Ich bekomme das bei jedem dieser Bilder herüber. Große Furcht.« Wie eine Blinde tastete sie über die Fotos und las darin etwas, das für sie so greifbar zu sein schien wie die Gesichtszüge einer Person.
    »Hier spüre ich Tod«, fuhr sie fort, als sie drei verschiedene Fotos berührte. »Ganz stark.« Es waren Aufnahmen vom Fundort der Leichen. »Aber hier nicht.« Ihre Finger glitten über Fotos von dem Holzweg und einem Abschnitt des Waldes, den ich durchquert hatte, als ich im Regen zu der Lichtung gelotst wurde. Wieder warf ich einen Blick zu Marino: Er saß vorgebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt und die Hände ineinander verschränkt, und fixierte Hilda fasziniert. Bis jetzt hatte sie uns noch nichts Sensationelles erzählt. Marino und ich hatten keinen Augenblick angenommen, daß Deborah und Fred auf dem Weg umgebracht

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