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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Küche
umzusehen, um den Revolver zu suchen, suchte ich lieber das Weite. Ich holte
mein Fahrrad aus dem Schuppen, ohne der Alten zu begegnen, und radelte in
Rekordtempo in Richtung Vielfrucht.

11

Nestor Burmas Mörder
     
     
    „Donnerwetter!“ rief Rouget, als er
mich erblickte. „Hast du mit der Kanonenfrau geflirtet?“
    „So ungefähr“, antwortete ich.
„Hättest du vielleicht ‘ne Bürste für mich?“
    Er hatte.
    „Du brauchst auch unbedingt Nadel und
Faden! In diesem Aufzug kannst du jedenfalls nicht über die Linie geschleust
werden.“
    „Meine Abreise verzögert sich“,
informierte ich meinen Freund, während ich mein Äußeres wieder richtete, so gut
es ging. „Hier in Marseille brauchen mich ‘ne Menge Leute.“
    „Im Ernst? Und dafür hab ich Himmel
und Hölle in Bewegung...“
    Ich fiel ihm ins Wort:
    „Ich muß Hélène eine Nachricht
zukommen lassen. Nur eine einfache Interzonenkarte, aber die würde ich lieber
woanders als in Marseille abschicken.“
    „Immer vorsichtig!“
    „Mehr denn je... Sag mal, spürst du
keinen Leichengeruch?“
    „Den spür ich seit 39.“
    „Ich red nicht vom Krieg... Aber um
auf die Karte an Hélène zurückzukommen: Kennst du niemand in Cannes, Perpignan
oder sonstwo, der für mich eine Karte in den Briefkasten werfen könnte?“
    In Nizza habe er einen Bekannten,
sagte Rouget, der mir meine Bitte sicher erfüllen werde. Als ich vom Postamt
zurückkam, begab ich mich in meinen Schlupfwinkel. Zwischen den gelagerten
Gelierfrüchten nahm ich das vor, was Florimond Faroux „Inventur von Diebesgut“
genannt hätte. Doch das, was ich Paulot abgenommen hatte, war nicht sehr
aufschlußreich. Leute wie Paulot sind nicht so naiv, um ein intimes Tagebuch
mit sich herumzuschleppen. Ich erfuhr lediglich durch seinen Ausweis, daß er
Paul Clément hieß, geboren 1909 in Cahors, wohnhaft in Marseille, Passage de
L’Ange 33b. Einer der zwei Schlüsselbunde, die ich in seinen Hosentaschen
gefunden hatte, gehörte Maillard. Auch die Papiere des Ermordeten und das
berühmte Notizbuch, über dem Dédé und Paulot vergeblich gebrütet hatten,
befanden sich jetzt in meinem Besitz. Die Geldbeute belief sich auf etwas über
3000 Francs, Maillards und Paulots gemeinsame Barschaft. Besser als nichts. Das
würde mir erlauben, meinen arg mitgenommenen Regenmantel gegen einen
anständigeren auszutauschen.
    Ich streckte mich auf der Matratze aus
und fragte mich, an welchem Ende ich diesen Fall aufrollen sollte.
    Noch nie hatte ich mich so sehr im
Nachteil gefühlt. Es war ja ganz nett, romantisch, literarisch und alles, ein
lebender Toter zu sein. Doch die erzwungene Abgeschiedenheit schränkte meinen
Wirkungskreis ganz erheblich ein. Die Hände waren mir gebunden, und weder
Hélène noch irgendeinen meiner anderen Mitarbeiter wollte ich in die Sache mit
hineinziehen. Trotzdem hätte mir der eine oder andere Freundschaftsdienst sehr
hilfreich sein können. Ich konnte nicht überall zugleich sein, und wenn ich mir
überlegte, wo ich überall hätte sein sollen, wurde mir schwindlig.
    Unter anderen historischen Stätten,
die für einen Touristen wie mich von Interesse waren, gab es da das
zwielichtige Haus, in dem ich Dreifach-B zum letzten Mal lebend gesehen hatte.
Auch Jackie Lamours Villa am Cap Croisette war nicht zu verachten. Nicht
weniger sehenswert für mich war das Hotel Moderne, in dem der
geheimnisvolle Reisende gestern nacht abgestiegen war. Ja, dort sollte ich am
besten beginnen. Einen Ortstermin hatte Paulot glücklicherweise schon für mich
wahrgenommen: Maillards Wohnung konnte ich getrost vernachlässigen. Mehr als
meinen Ringkampfgegner würde ich sicherlich dort nicht finden. Was er Dédé
erzählt hatte, reichte mir vollkommen. Zur Not, wenn ich fünf Minuten Zeit
hätte, würde ich im Café Riche Vorbeigehen, um ein paar Punkte
abzuklären. Um Paulots Wohnung dagegen machte ich wohl besser einen großen
Bogen. Bestimmt war der Vogel bereits in den liebevollen Händen der Polizei,
und seine Behausung wurde schärfstens überwacht. Nein, ich spürte kein
Verlangen danach, in eine Mausefalle zu laufen.
    Ich entnahm meinem „Diebesgut“ ein
Foto von Maillard. Aus dem Rest machte ich ein Päckchen und hielt nach einem
Ort Ausschau, an dem ich es verstecken konnte, ohne daß Rouget es bemerken
würde. Er war ein prima Kerl, mein Freund, hilfsbereit und alles; aber ich
hielt es für besser, ihm nicht das Gefühl zu geben, er beherberge ein Pulverfaß
samt

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