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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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ragte, wo einmal das Radio gewesen war. » Wie sah Marius Veland aus? «, fragte er.
    » Vier Wochen in ’ ner Plastiktüte, was glaubst du? «
    » Er wurde gerade einmal vierundzwanzig, Harry. Vierun d zwanzig Jahre. Kannst du dich noch daran erinnern, was du für Pläne hattest, als du vierundzwanzig warst? Was du vom Leben erwartet hast? «
    Harry erinnerte sich.
    Waaler lächelte schief: » In dem Sommer, in dem ich zweiun d zwanzig wurde, war ich gemeinsam mit Geir und Solo auf Interrailtour. Wir sind an der italienischen Riviera gelandet, doch die Hotels waren so teuer, dass wir es uns nicht leisten konnten, dort zu wohnen. Obwohl Solo am Tag unserer Abfahrt die gesamte Kioskkasse hatte mitgehen lassen. Also haben wir nachts am Strand ein Zelt aufgebaut und rannten tagsüber rum und bestaunten die Frauen und Autos und Boote. Das Merkwü r dige war, dass wir uns stinkreich vorkamen. Weil wir zweiund zwanzig waren. Wir dachten, die Welt gehöre uns, alles warte in Päckchen verpackt unter dem Weihnachtsbaum auf uns. Camilla Loen, Barbara Svendsen, Lisbeth Barli, sie alle waren jung. Vielleicht sind sie nicht einmal dazu gekommen, enttäuscht zu sein, Harry. Vielleicht warteten sie noch immer auf Weihnac h ten. «
    Waaler fuhr mit der Hand über das Armaturenbrett.
    » Ich habe gerade Sven Sivertsen verhört, Harry. Du kannst die Aussage später lesen, aber ich kann dir jetzt schon verraten, wie die Sache ausgehen wird. Er ist ein kalter, intelligenter Teufel. Er wird den Durchgeknallten spielen. Er wird die Jury hinters Licht führen und die Psychologen derart verwirren, dass sie es nicht wagen, ihn ins Gefängnis zu ste cken. Er wird, um es kurz zu machen, in einer psychiatrischen Anstalt landen und dort so rasche Fortschritte machen, dass man ihn nach nur wenigen Jahren wieder entlässt. So läuft das, Harry. So machen wir das mit all dem menschlichen Abfall um uns herum. Wir räumen da nicht auf, wir rotten ihn nicht aus, sondern schieben ihn von hier nach da. Und begreifen nicht, dass es zu spät ist, wenn das Haus bereits zum stinkenden Rattennest verkommen ist. Schau dir nur andere Länder an, in denen die Kriminalität Fuß gefasst hat. Leider wohnen wir zurzeit in einem Land, das so reich ist, dass sich die Politiker darum streiten, wer der freigebigste ist. Wir sind weich und nett, und niemand wagt es mehr, die unang e nehme Arbeit zu machen. Verstehst du? «
    » So weit. «
    » Da kommen wir ins Spiel, Harry. Wir machen die unang e nehme Arbeit. Betrachte es als eine Art Renovierungsarbeit, an die sich die Gesellschaft nicht heranwagt. «
    Harry zog an seiner Zigarette, dass das Papier knisterte. » Wie meinst du das? «, fragte er zwischen den Zügen.
    » Sven Sivertsen «, sagte Waaler und spähte aus dem Fenster. » Menschlicher Abschaum. Du sollst aufräumen. «
    Harry knickte auf dem Fahrersitz zusammen und hustete den Rauch wieder aus. » Das ist es, was ihr tut? Und was ist mit dem anderen? Dem Schmuggel? «
    » Alle anderen Aktivitäten laufen nur, um dies hier zu finanzi e ren. «
    » Deine Kathedrale? «
    Waaler nickte langsam. Dann beugte er sich zu Harry. Und Harry spürte, dass er ihm etwas in die Jackentasche steckte.
    » Eine Ampulle «, sagte Waaler. » Genannt Joseph ’ s Blessing. Entwickelt vom KGB während des Afghanistankriegs. Für At tentatszwecke. Eher bekannt als Selbstmordmethode der tschet schenischen Soldaten, die in Gefangenschaft geraten. Lähmt die Atemmuskulatur, ist im Gegensatz zu Blausäure jedoch g e schmack-und geruchlos. Die Ampulle findet gut im Enddarm Platz oder unter der Zunge. Wer den Inhalt aufgelöst in einem Glas Wasser trinkt, stirbt innerhalb von Sekunden. Hast du den Auftrag verstanden? «
    Harry richtete sich auf. Er hustete nicht mehr, aber Tränen standen in seinen Augen. » Es soll also wie Selbstmord auss e hen? «
    » Die Zeugen im Untersuchungsgefängnis werden bestätigen, dass bei der Aufnahme der Darm leider nicht überprüft wurde. Das ist geregelt, mach dir darüber keine Gedanken. «
    Harry atmete tief durch. Ihm war übel vom Benzindunst. In der Ferne klagte eine Sirene. » Du wolltest ihn eigentlich erschießen, nicht wahr? «
    Waaler antwortete nicht.
    Harry sah einen Polizeiwagen vor dem Untersuchungsgefän g nis halten. » Du hattest nie wirklich vor, ihn festzunehmen. Du hattest zwei Pistolen dabei, weil du geplant hattest, ihm eine in die Hand zu drücken, nachdem du ihn erschossen hattest. Damit es so aussah, als hätte er dich

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