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Das fuenfunddreißigste Jahr

Titel: Das fuenfunddreißigste Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Truschner
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Annäherungsversuch wohlwollend gegenüberstand; im nächsten Moment prallte man daran ab. Die Tatsache, dass sie einem durch die Hände glitt wie ein Fisch, hatte mich (und manch anderen) sofort gereizt. Am selben Abend, als Carsten sie uns vorgestellt hatte, tranken wir Bier, rauchten einen Joint und tanzten schließlich engumschlungen miteinander. Ich spürte ihren Atem an meinem Hals. Es war nicht festzustellen, welcher Körper den größeren Anteil an der Hitze hatte, die sich zwischen uns ausbreitete. War es ihr Herz, das da so klopfte, oder war es das meine? Oder war das alles nur dem Feuerwerk der Biochemie zu verdanken, die das Immergleiche – das Paarungsritual – in ein besonderes Licht tauchte? Ich presste meinen Unterleib gegen ihren Bauch und wartete darauf, dass sie mich entweder von sich stieß oder mich ermunterte, streichelte, küsste. Sekunden vergingen, in denen ich Atome in meinem Körper bersten zu hören glaubte, aber nichts geschah. Ich wich zurück und blickte in ihr Gesicht. Keine Leidenschaft, kein Einvernehmen, die da im Fluss der Gefühle und Hormone zu mir herübertrieben – während ich im selben Augenblick nicht hätte sagen können, ob mein Mund trocken oder voller Speichel war. Eher Erstaunen und belustigtes Interesse, so jedenfalls deutete ich die gläserne Oberfläche ihres Gesichts, die von meiner Lust kaum beschlagen wurde. Verwirrt ließ ich sie stehen und holte uns aus der Badewanne noch zwei Bier. Als ich zurückkam, lümmelte sie mit Steffen in einer Ecke und ließ sich von ihm eine Tüte drehen.
    Später fragte ich sie einmal, was sie beim Tanzen empfunden hatte.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Was denkst du?«
    Wir saßen in diesem Augenblick auf der Couch in ihrer Wohnung. Jahre waren vergangen. Um uns herum eine Stille, dass ich das Gefühl hatte, nicht nur Ulrike, sondern das Zimmer, die Wohnung, das ganze Haus warteten gespannt auf meine Antwort. Wenige Tage zuvor hatten wir uns in einer Bar wiedergesehen und in der darauffolgenden Nacht etwas miteinander angefangen, das sie eine Affäre nannte. Tatsächlich war es nichts anderes gewesen als ein kurzes Aneinandergeraten in einer Übergangszeit, die von Ambivalenz geprägt war. Wir hatten das Alte – die Uni, das studentische Leben – noch nicht zurückgelassen und waren noch nicht bei etwas Neuem – dem Beruf, der geregelten Arbeitszeit – angekommen. Ich wusste um unser Ende bereits Bescheid, als wir noch am Anfang standen, was mir Ulrike später vorwarf, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass es ihr nicht anders ergangen war. Sie brachte das Wort Liebe ins Spiel. Diese Liebe war jedoch ein Gerät, das von zwei Batterien mit niedriger Energieleistung angetrieben wurde, sodass ihr bald der Saft ausging. Ulrike sah das anders. Wo andere ihren Lieb- und Leidenschaften rückblickend nüchtern gegenüberstanden, neigte sie dazu, sie – ob im Guten oder im Schlechten – zu verklären. Was nichts als ein erotischer Schwips gewesen war, konnte sich so zu einem Rausch auswachsen. Sie nahm es mir übel, dass unsere Geschichte in meiner Erinnerung keinen breiteren Platz einnahm. Es schmerzte sie jedoch weniger, als dass es ihren Stolz kränkte. Man wusste nie, woran man bei ihr war. Es war, als versuchte sie den Lauf der Dinge zu steuern – um schließlich doch die Kontrolle darüber zu verlieren. Einerseits konnte sie mit ihren Gefühlen haushalten, geradezu berechnend sein. Andererseits – wenn sie Vertrauen gefasst hatte, sich fallenließ – deutete sie jedes Wort, jede Geste mit der Logik einer Verschwörungstheoretikerin. Alles hing mit allem zusammen, hatte eine verborgene Bedeutung. Jede beiläufige Höflichkeit meinerseits konnte da leicht als Nachglimmen einstiger Gefühle gedeutet werden und auf ein Feuer verweisen, das offensichtlich noch nicht erloschen war. Die Folge davon war, dass ich ihr möglichst aus dem Weg ging.
    »Willst du einen Tee?«, fragte mich Steffen. »Ich hab hier einen wunderbaren grünen Tee aus China mit zartem Lemongrass-Aroma. Oder vielleicht einen Absinth?«
    »Ach was, Tee. Absinth. Der braucht was Anständiges«, polterte Alex und köpfte für mich eine Flasche Bier. Sein Bild von mir schwamm längst in Formaldehyd und entstammte jener Zeit, als wir beide an der Universität immatrikuliert hatten: die trinkfeste Sportskanone, die sich seltsamerweise für Philosophie und Politik interessierte.
    »Na, brauchst du eine Sondereinladung«, rief er mir zu und zeigte mit dem Kopf auf

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