Das ganze gleich nochmal
den Steigbügel und justierte die Länge. “Ganz still sitzen, bis ich mich auch um den anderen gekümmert habe.”
“Hast du dem Pferd diesen Namen gegeben?”
“Wie?”, fragte er, während er sich mit dem zweiten Steigbügel beschäftigte. “Ja. Wir haben sie bei einer Versteigerung ohne Papiere gekauft. Der frühere Besitzer wollte ein Pferd, mit dem er mit Rindern arbeiten kann, und kein Tier, das Menschen liebt. Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihr einen Namen zu geben, und hätte sie auch an einen Schlachthof verkauft.”
“Um Himmels willen!”, rief Carley und strich über die lange Mähne der Stute. “Ein Schlachthof! Die Ärmste!”
Diese Frau hatte ein noch weicheres Herz als Gabe, und der konnte schon keine Ameise zertreten. “Du musst sie wirklich nicht bedauern. Sie lebt hier glücklich mit den Kindern, und alle lieben sie. Darum habe ich ihr auch diesen Namen gegeben.” Er löste die Zügel vom Zaunpfosten und reichte sie Carley.
Carley betrachtete ihn zärtlich. “Das Gleiche hast du von mir gesagt … dass ich alle Menschen liebe. Du hast mich sogar ab und zu Lovey genannt.”
“Ich wünschte, ich könnte mich an dich erinnern, Carley”, erwiderte er betrübt. “Du ahnst gar nicht, wie sehr ich mich danach sehne. Aber ich …”
“Setz dich nicht unter Druck, sonst verflüchtigen sich deine Erinnerungen noch mehr. Komm jetzt”, forderte sie ihn auf. “Du hast mich auf dieses Ungetüm … auf Lovey gesetzt. Weiter im Unterricht!”
Geschmeidig schwang Houston sich auf sein Pferd. Danach gab er Carley eine kurze Einführung, wie man einem Pferd Kommandos erteilt.
Bald darauf später waren sie zum Fluss unterwegs. Carley saß im Sattel, als hätte sie schon ihr ganzes Leben geritten. Sie hielt sich gerade und fand den richtigen “Sitz”, ohne dass er ihr beigebracht hätte, wie man sich den Bewegungen eines Pferdes anpasste.
Houston wollte es Carley gegenüber nicht erwähnen, aber Gabe hatte Gerüchte gehört, ein mexikanischer “Kojote” würde demnächst in der Nähe der Ranch Menschen über den Fluss schmuggeln. Während sie langsam dahinritten, beschloss er, Ausschau nach Spuren illegaler Einwanderer zu halten. Doch wie sollte er das anstellen, wenn er den Blick nicht von der Lebensfreude und Energie ausstrahlenden Frau wenden konnte, die an seiner Seite ritt?
Im Sonnenschein schimmerte ihr offen auf die Schultern fallendes Haar rötlich, und ihre Brüste bewegten sich bei jedem Schritt des Pferdes. Immer wieder entdeckte sie etwas Neues, über das sie sich begeisterte, und stellte eine Menge Fragen. In ihrer Gegenwart wurde die Welt schöner, und Houston verdrängte sämtliche Bedenken. Was immer früher auch zwischen ihnen gewesen sein mochte, diesmal würde sich ihnen nichts in den Weg stellen.
“Das ist also der Rio Grande?”, fragte Carley, als sie die Pferde am Flussufer im Schritt gehen ließen.
Houston nickte und warf einen Blick zum gegenüberliegenden Ufer. “Hier kannst du einen Stein nach Mexiko werfen, hinüberwaten und ihn wieder holen. Der Fluss ist wegen der Dürre sehr seicht.”
“Gibt es eigentlich auf dem Gelände der Ranch Probleme mit Mexikanern?”
“Manchmal kommen welche über unser Land, aber Probleme gibt es nicht. Die Grenzpolizei hat das Recht, diese Gegend zu überwachen, aber normalerweise machen sie das nur nachts. Tagsüber haben sie an anderen Stellen zu tun.”
Er lenkte sein Pferd einen Hang hinauf. “Entlang des Rio Grande wird das Buschwerk abgeschnitten. Auf mehrere Kilometer kann sich landeinwärts niemand verstecken.”
Carleys sanfte Stute folgte brav dem Wallach. “Wie könnte jemand Kinder über den Fluss bringen?”
Houston wartete, bis sie an seine Seite gekommen war. “Ich habe gehört, dass es viele Möglichkeiten gibt. Sehr kleine Kinder werden unter Decken oder Mänteln versteckt. Manchmal werden sie auf ein Floß gelegt und an einem Seil ans amerikanische Ufer gezogen. Größere Kinder waten aus eigener Kraft durchs Wasser oder schwimmen.” Er wollte schon fragen, warum sie das interessierte, wurde jedoch abgelenkt. Sie hatten den Kanal und die Uferstraße erreicht, auf der er gefunden worden war. “Siehst du die Straße da am Ufer des Kanals?”, fragte er.
Carley nickte und wartete auf seine Erklärung.
“Genau hier hat Doc Luisa mich vor anderthalb Jahren schwer verletzt entdeckt.” Eine dunkle Wolke schob sich vor die Sonne. Houston fröstelte. “Die Stelle ist keine hundert Meter
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