Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
Vom Netzwerk:
Schließung oder massiven Stellenkürzungen bedroht war. Ihr Mann verdiente kein Vermögen, aber er hatte ein regelmäßiges Einkommen, er würde sie ihr Leben lang ernähren können, und wenn sie keine Lust hatte, arbeiten zu gehen, brauchte sie sich nur ein Kind nach dem anderen zuzulegen. Und dann kapierte ich, dass das reine Theorie war, denn sie war ja tot. All die Schönheit und der Charme und das unverdiente Einkommen – aus und vorbei. Tat Hebe mir leid? Nein, ich war froh, ja erleichtert. Jetzt ging’s nur noch darum, mir Gerry gegenüber nichts anmerken zu lassen und dafür zu sorgen, dass er die Wahrheit nicht erfuhr.
    Noch ein, zwei Kilometer, dann kam die Irving Road, eine an die hundert Jahre alte Straße – alle Häuser gleich, grauer Backstein, Schieferdach, oben ein Giebel, unten ein Erkerfenster, nirgends was Grünes, trostlose Hässlichkeit. Vor einem Jahr hatte ich Mummy zu einer Freundin gefahren, die in Edgware wohnt, und ihr Hebes Straße gezeigt, die völlig verlassen dalag bis auf einen Kastenwagen mit Fahrer. Im Nieselregen wirkte alles unheimlich trist. Mummy lebt so hinter dem Mond, dass sie glaubt, junge Ehepaare hätten alle hübsche Villen in grünen Vororten. »Sehr viel kann er nicht verdienen, was?«, sagte sie. »In so einer Straße haben deine Großeltern gewohnt, als ich klein war. Natürlich nicht lange. Als ich sieben war, sind wir weggezogen.«
    Jetzt war die Straße nicht leer. Vor Gerrys Haus stand eine Menschenmenge, sie drängte sich im Vorgarten und quoll auf den Gehsteig hinaus, jede Menge Leute mit Kameras und ein einsamer Polizist. Es dauerte einen Augenblick, bis ich schaltete: Die Presse! Ich hielt so nah wie möglich am Haus, und sofort stürzten sich Reporter und Kamerateams auf mein Auto. Blitzlicht blendete mich. »Wer sind Sie?« – »Was machen Sie hier?« – »Sind Sie Hebes Schwester?«, schrie es aus der Meute.
    Die normale Reaktion bei so was ist, die Hände schützend vors Gesicht zu legen, selbst wenn man nichts zu verbergen hat. Ich griff mir den Schal, der neben der Zeitung auf dem Beifahrersitz lag, hielt ihn mir ohne viel Erfolg vor Mund und Nase und stieg aus. »Ich bin nur die Babysitterin.«
    »Würden Sie sich als Freundin der Familie bezeichnen?«, fragte einer.
    »Wenn Sie so wollen … Aber ich weiß nichts.« Ich hätte ihnen nur zu gern die Wahrheit über Hebe und Ivor Tesham gesteckt, aber das wäre nur ein kurzer Spaß gewesen. Schließlich musste ich an meine Zukunft denken. Ich drängelte und schubste und stieß die Kameras beiseite, die sie mir vors Gesicht hielten. »Bitte lassen Sie mich durch.«
    Gerry hatte das Gerangel offenbar mitgekriegt, denn ich stand kaum vor der Tür, da machte er schon auf. Die Kameras richteten sich auf ihn, wieder ging ein Blitzlichtgewitter los. Er packte mich bei der Hand, zog mich ins Haus und knallte die Tür zu, dass die Wände wackelten.
    »Wo ist Justin?«, fragte ich möglichst fürsorglich.
    »Meine Mutter war hier und hat ihn mitgenommen. Ich habe ein schlechtes Gewissen deswegen, eigentlich müsste ich mich jetzt um ihn kümmern, aber er rennt ständig hin und her und sagt: ›Justin will Mummy‹, und das halte ich nicht aus.«
    Ich dachte, er würde mich in die Arme nehmen und an sich drücken, es wäre nach Lage der Dinge die natürlichste Sache von der Welt gewesen, aber ich wartete vergebens. Er hatte geweint, seine Augen waren rot. Ich ging in die Küche, machte Tee, brachte ihn auf einem Tablett ins Wohnzimmer und zog die Vorhänge zu, um die Gesichter auszusperren, die sich an die Scheiben drückten. Lass dir nicht anmerken, dass du das genießt, predigte ich mir die ganze Zeit, lass dir nicht anmerken, dass es dich erregt.
    »Sie haben einen Polizisten vor dem Haus postiert«, sagte Gerry, »aber er behauptet, dass er nichts machen kann, solange die öffentliche Ordnung nicht gestört wird, was immer das heißt, oder fremdes Eigentum beschädigt wird.«
    Der Krach da draußen, eine Art bedrohliches Summen, durchsetzt mit Schreien und Rufen, erinnerte mich an fernen Schlachtenlärm aus den Kriegssendungen im Fernsehen.
    »War es wirklich eine Entführung?«, fragte ich.
    »Wenn die Polizei das sagt, muss es wohl so sein. Sie war in Handschellen, Jane, und hatte einen Schal ums Gesicht gebunden. Viel mehr weiß ich nicht, nur dass einer der Männer tot ist und der andere bewusstlos auf der Intensivstation liegt.«
    »Und der Lastwagenfahrer?«
    »Es war offenbar nicht seine Schuld. Bis

Weitere Kostenlose Bücher