Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
Vom Netzwerk:
hinter sich und war in den Warteraum gekommen, um seine Aktentasche zu holen, die er dort abgestellt hatte. In einem Sessel saß Aaron Hunter und las den Guardian. Ivor erkannte ihn sofort – das Gesicht, das normalerweise keine Gefühlsregung verriet, aber nach Belieben des Schauspielers schön oder hässlich werden konnte, die breiten Lippen, das kurz geschorene strohfarbene Haar. Ivor sprach ihn nur wegen der Aktentasche an, die neben Hunters linkem Bein stand.
    »Ich will Sie nicht stören, aber das ist meine Tasche.«
    Hunter blickte auf, und Ivor sah in ausdruckslose hellblaue Augen. »Sie sind Ivor Tesham. Aaron Hunter. Sie waren gut.«
    »Danke.«
    »Politisch bin ich natürlich nicht Ihrer Meinung.«
    »Nein? Zum Glück für mich denken viele da anders.«
    Hunter zuckte die Schultern und wollte wohl noch etwas sagen, aber in diesem Augenblick holte man ihn ins Studio. Ivor nahm seine Aktentasche und ging. Wozu mochten sie den Schauspieler wohl befragt haben? Wahrscheinlich zu dem Stück, in dem er zurzeit spielte. Als Ivor sich auf der Suche nach weiteren Meldungen über Sean Lynch durch die Times gearbeitet hatte, war er im Feuilleton auf ein Foto von Hunter gestoßen, eine dieser Aufnahmen, mit denen Rezensenten gern ihre Besprechungen bebildern. In diesem Fall kämpften ein Mann und eine Frau auf einem Marmorboden miteinander – Spiel oder Ernst? Der Mann war Hunter, den Namen der Frau hatte Ivor noch nie gehört.
    In Hunters Interview war es nicht um das Stück gegangen, das wurde nur am Rand erwähnt. Ich habe die Sendung gesehen. Aaron Hunter sprach über Sexskandale, Filz und Korruption, über Politiker, die ihre Frauen betrogen, sich Hotelaufenthalte von Scheichs bezahlen ließen oder teure Geschenke annahmen und das Parlament hinterher belogen. Er gab – ein wenig verklausuliert – dem Parteiapparat die Schuld und behauptete, das Verhältniswahlrecht und mehr parteilose Abgeordnete (zu jener Zeit gab es keinen einzigen) könnten diesem Missstand abhelfen. Der Interviewer meinte, Hunter könne bei der im Jahr 1992 anstehenden Parlamentswahl doch selbst kandidieren, ein Vorschlag, den Hunter nicht grundsätzlich ablehnte.
    Davon wusste Ivor damals nichts. Er war mit dem Taxi auf dem Weg nach St. Margaret’s, Westminster, wo um zehn Uhr der Gedenkgottesdienst für Sandy Caxton stattfinden sollte. Während ein berühmter Bariton »Rang und Hoheit sind mir Tand, nur Tugend schlingt der Freundschaft Band« aus Sandys geliebtem Saul sang – eine Geisteshaltung, die Ivor eher fremd war –, saß er eine Reihe hinter Erica Caxton und ihren Kindern und dachte an Sean Lynch. Womöglich würde man eines Tages seinen Namen mit dem von Sean Lynch und mit DER IRA in Verbindung bringen. Dann würde seine Anwesenheit beim frommen Gedenken an den ermordeten Nordirlandminister für ihn sprechen.
    Am gleichen Tag erschien Sean Lynch vor Gericht und wurde sofort auf freien Fuß gesetzt. Eine Erklärung erfolgte nicht, aber es fehlte wohl an Beweisen, um den Fall weiterzuverfolgen. Ivor hatte immer noch große Angst, Dermot könne wieder zu sich kommen und erzählen, was er wusste, aber die Gefahr, ALS IRA-Spitzel oder Spion abgestempelt zu werden, schien gebannt. Eine Weile hatte er offenbar sogar ernstlich befürchtet, er müsse ins Gefängnis. Mit Sean Lynchs Freilassung aus Mangel an Beweisen fiel ihm ein Stein vom Herzen. Jetzt konnte er sich auf die angenehme Aufgabe konzentrieren, Juliet Case näher kennenzulernen.

11
    Letzte Woche bin ich rausgeflogen. So unverblümt haben sie es natürlich nicht gesagt. Ich habe immer gedacht, der blöde Spruch kommt nur im Fernsehen vor, aber nein: Der Bibliothekar, der sich jetzt Direktor nennt, hat mich reingerufen und mir todernst, ohne die Spur eines Lächelns, eröffnet, sie würden sich leider von mir trennen müssen.
    Ganz überraschend war es nicht. Mit der Library of British History geht es schon länger bergab. Wir finanzieren uns ausschließlich aus privaten Mitteln, Anträge auf staatliche Zuschüsse wurden bisher immer abgelehnt. Sie – das ›wir‹ passt ja jetzt nicht mehr – mussten letztes Jahr eine der Sammlungen verkaufen, das hat ihnen einen Haufen Geld eingebracht, aber nicht genug. Sie haben sich entschlossen, eine ganze Abteilung zu schließen. Und wen hat es getroffen? Natürlich mich und die Geschichte des Spätmittelalters. Verkaufen würde man die Sammlung nicht, sagte er so gütig, als ob er mich trösten müsste, und wenn ich mir mal das

Weitere Kostenlose Bücher