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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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gegen die Wand knallte. Der stürmische Ostwind pfiff durch die Schenke und wirbelte Staub und Sägespäne auf, ehe einer der Gäste fluchend zur Tür rannte und sie zudrückte.
    »Willst du etwas trinken, Mathis?«, fragte der Wirt. Der Gendarm regte sich nicht.
    »Zähne«, stöhnte Hubert. »Und eine lange, rote, geifernde Zunge!«
    »Hubert, halt den Mund!«, rief die Wirtin.
    Alles stand, starrte, scharrte unbehaglich mit den Füßen, knetete die Hände, schwieg, blickte einander nicht an.
    Dann endlich flog die Tür erneut auf, und mit dem Wind kam die Vertrauen einflößende, breitschultrige, kugelbäuchige Gestalt des ehrenwerten Herrn Bürgermeisters zur Tür herein. Die Menschen in der Schenke stießen den angehaltenen Atem aus, bewegten die eingefrorenen Gliedmaßen wie unter den Strahlen der wärmenden Sonne und ließen ihre beklommenen Gedanken davontauen.
    »Was ist los?«, grollte der Bürgermeister und kam an den Tisch. »Ich saß gerade beim Abendessen!«
    Der Wirt und der ältere Fuhrmann beeilten sich, dem Bürgermeister zu erklären, was sie gesehen, erlebt und gehört hatten. Dann sagten sie beide gleichzeitig: »Und dann kam Mathis zurück.«
    Der Bürgermeister drehte sich wie ein wendender Heuwagen bedächtig zu dem Gendarm um und forderte ihn ungeduldig auf: »Rapport, Mathis.«
    Der Mund des Gendarmen klappte auf und seine Stimme, rostig und schartig wie eine alte Büchse, fiel heraus: »Der – König – verlangt – nach – Ihnen.« Wieder klappte der Mund zu, sonst bewegte sich kein Härchen an der Gestalt des strammstehenden Gendarmen.
    »Der König?« Der Bürgermeister wollte sich verdutzt am Kopf kratzen, unterließ das aber, als er all die erwartungsvollen Blicke auf sich gerichtet sah. Er straffte seine imposante Gestalt und wiederholte: »Der König. Nun gut, dann werde ich den König unverzüglich aufsuchen.« Er wandte sich um und rief: »Meine Kutsche!«
    Die Tür flog auf und knallte hinter ihm wieder zu. Der heftige Windstoß wirbelte durch den Schankraum, ließ Geschirr klappern und Kleidersäume hochwehen und erfasste den starr und stumm dastehenden Gendarmen Mathis. Der seufzte lang und zischend und sank zusammen. Sein Säbel klapperte auf den Boden, seine Kleider fielen lose herab, und wie aus einem auslaufenden Fass rann eine Flut von winzigen braunen Spinnen aus dem Kleiderhaufen, floss über die Füße der Umstehenden und flüchtete in die Ritzen der Bodendielen.
    Man hörte Kreischen und Fluchen, Stühle fielen um, als einige der erschreckten Gäste versuchten, sich zu mehreren auf einen davon zu retten, Möbel polterten und Geschirr ging zu Bruch.
    Dann kehrte Ruhe ein. Die Spinnenflut war in den Boden gesickert, als hätte sie nie existiert, und mancheiner rieb sich die Augen und fragte sich, ob er recht gesehen hatte. Schreckensbleiche Bürger fächelten ihren ohnmächtig zu Boden gesunkenen Gattinnen Luft zu.
    »Was war denn das?«, fragte Lene, das Schankmädchen.
    Der Wirt, blass unter seiner rosigen Haut, trat an den Haufen aus Uniformstücken, aus denen zwei leere Stiefel ragten, und stieß den Fuß hinein. »Was zum Teufel …«, sagte er und wurde noch ein wenig blasser.
    Die Gaststube begann sich zu leeren. »Ich muss meine Frau nach Hause bringen«, murmelte ein Mann, einem zweiten fiel ein, dass er die Fensterläden seines Hauses nicht geschlossen hatte, und »bei dem Sturm … ihr versteht …«
    So ging es unter unbehaglichem Geflüster und ängstlichem Gemurmel, bis nur noch die Wirtsleute, die beiden Fuhrmänner, Lene, zwei Marktfrauen und eine Handvoll jüngerer Männer im Schankraum saßen. Sie rückten eng zusammen, und der Wirt, der zuvor dem Knecht flüsternd befohlen hatte, die Überreste des Gendarmen beiseitezuräumen, feuerte schweigend den großen Ofen an und gab eine Runde Würzbier aus.
    Nach und nach kehrten einige der vorhin nach Hause geflüchteten Gäste zurück und setzten sich zu den anderen, als suchten sie beieinander Schutz vor einem nahenden Unheil.
    Nach einer Weile, in der alle stumm dem ums Wirtshaus heulenden Sturm gelauscht hatten, ließen sich die Männer ein Kartenspiel geben und die Frauen hocktensich um den Ofen und flüsterten miteinander. Lene saß wieder neben ihrem Hubert und rieb seine kalten Hände.
    Es war so dunkel geworden, als bräche schon die Nacht herein. Der Wirt ging mit schwerem Schritt durch die Gaststube und zündete alle Lampen an. Dann schickte er seine Frau in die Küche, um allen eine heiße Suppe

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