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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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zu bereiten.
    Als die Tür aufsprang und erneut der Wind hereinfauchte, kam das fast einer Erlösung gleich. Es war der Bürgermeister, der in den Schankraum stapfte und seinen Mantel ausschüttelte.
    Alle sahen ihn gespannt an.
    »Bring mir ein Viertel von deinem Roten, Gustav«, sagte der Bürgermeister. Der Wirt schickte Lene mit einer Bewegung seines Kopfes hinter den Tresen.
    Der Bürgermeister leerte das Glas, das Lene ihm brachte, und wischte sich über den Mund.
    »Er sieht aus, als hätte er einen Geist gesehen«, wisperte die eine Marktfrau der anderen ins Ohr.
    »Ich habe euch etwas mitzuteilen«, hob der Bürgermeister an. »Wo sind die anderen?«
    Der Wirt zog fragend die Brauen hoch. »Welche anderen meinst du, Cornelius?«
    Der Bürgermeister wandte sich wortlos zur Tür und öffnete sie. »Holt alle her«, befahl er. »Ich habe den Bürgerinnen und Bürgern der Residenz eine Mitteilung zu machen.«
    »Was hat er denn da am Rücken?«, flüsterte einer der jungen Männer und deutete auf den Bürgermeister.
    Der Fuhrmann gab ihm einen Stoß. »Benimm dich, Andres. Man zeigt nicht auf den Herrn Bürgermeister!«
    Der Wind war abgeflaut, aber es war immer noch stockfinster. Die Gaslampen mühten sich flackernd, den Marktplatz zu erhellen. Die laute Trompete des Ausrufers holte die Menschen aus ihren Häusern. Nach und nach füllte sich der Platz mit ängstlich dreinschauenden Männern und Frauen, unter denen die wildesten Gerüchte kursierten. Mathis, der Gendarm, hatte ein Attentat auf den König vereitelt und war dabei getötet worden. – Nein, ganz falsch, er hatte einen Anschlag geplant und war von Laurentio in eine Spinne verwandelt worden. – »Nein, nein, ich habe gehört, dass jemand das Schloss verzaubert hat und Mathis und Hubert nun dort eingeschlossen sind.« – »Dummes Zeug, da steht der Hubert doch!« – »Das ist nicht Hubert, der hat braune Haare, und der dort ist schlohweiß!«
    »Ruhe! Der Herr Bürgermeister will euch etwas sagen!«, brüllte der Ausrufer und ließ so laut seine Trompete erschallen, dass den Umstehenden die Ohren wehtaten.
    »Bürgerinnen und Bürger unserer schönen Residenz«, rief der Bürgermeister. »Ich habe eine wundervolle, erstaunliche Nachricht für euch und für unser geliebtes Vaterland. König Ferdinand der Dritte hat abgedankt, er will von jetzt ab in Perancis, der Heimat unserer ehemaligen Königin, seinen Ruhestand genießen.«
    Ungläubiges Raunen, zischelndes Gemurmel, laute Unmutsrufe. »Hast du getrunken, Cornelius?«, hörte man einen Stadtrat ausrufen.
    »Ruhe!«, brüllte der Ausrufer und pustete aus vollen Backen in seine Trompete, bis der Bürgermeister ausholte und ihm eine schallende Backpfeife gab.
    »Bürgerinnen und Bürger«, setzte er erneut an, »ich weiß, wie überraschend diese Neuigkeit für uns alle kommt. Aber ich habe mit unserem neuen Herrscher gesprochen und er hat mir Ferdinands Abdankungsurkunde gezeigt. Ich möchte von euch nun ein dreifaches ›Hipp, hipp, hurra!‹ hören auf unseren neuen König, den großen und mächtigen Ostwind!«
    »Hipp, hipp …«, rief eine einsame, klägliche Stimme, die von einem Sturm der Entrüstung und des Unglaubens übertönt wurde. Der Bürgermeister, der erhöht auf den Stufen des Rathauses stand, wurde umringt von durcheinanderschreienden, erregt mit den Händen fuchtelnden Bürgern.
    »Beruhigt euch«, hörte man den Bürgermeister rufen. »Meine Herrschaften, ich bitte euch! Warum regt ihr euch so auf?«
    Der Himmel, der schon stockfinster gewesen war, schien sich noch weiter zu verdüstern. Der Wind frischte erneut auf, und vereinzelte kalte Tropfen klatschten in aufgebrachte Gesichter und vor Aufregung glühende Nacken. Die Ersten retteten sich unter das Vordach des Rathauses und in die Eingänge der Nachbarhäuser.
    Aber immer noch stand eine heftig diskutierende Menge auf der Treppe des Rathauses um den besänftigend mit den Händen gestikulierenden Bürgermeister herum. »Liebe Mitbürger!«, hörte man ihn rufen. »Meine lieben, guten Mitbürger!«
    Ein Windstoß schüttelte die Fahne über dem Eingang und wickelte sie fest um ihren Mast. Eine zweite Böe fauchte wie ein wildes Tier über den Platz, ließ hastig aufgespannte Schirme umklappen, blies Hüte von den Köpfen und wirbelte die Mäntel der Leute hoch. »Geht nach Hause«, rief der Bürgermeister. »Es gibt ein Unwetter, liebe Leute. Geht nach Hause, und morgen können wir im Ratssaal über alles sprechen!«
    Die

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