Das gefrorene Lachen

Menge begann sich aufzulösen. Unter den Letzten, die gingen, waren die Wirtsleute, die es nicht weit nach Hause hatten, der Fuhrmann Jasper und der junge Andres, der vorhin etwas Seltsames am Rücken des Bürgermeisters gesehen haben wollte. Andres blieb noch einmal stehen und blickte sich neugierig um. Der Bürgermeister hatte sich abgewandt, um die Rathaustür aufzuschließen, und der Wind wehte seinen langen Umhang beiseite. Ein Blitz ließ das Licht der Gaslaternen verblassen und tauchte den Platz für Sekunden in ein kaltes, bedrohliches Licht.
    »Der Bürgermeister«, schrie Andres und nahm die Füße in die Hand. »Seht doch, der Bürgermeister …!«
    »Was hat er denn?«, brummte der Bürgermeister und fasste nach seinem flatternden Umhang. Er zog den Stoff über dem großen silbernen Schlüssel zusammen, der sich langsam zwischen seinen Schulterblättern drehte, ordnete ihn in schöne Falten und ging ins Rathaus.
    Die Tür schlug mit einem energischen Knall hinter ihm zu.
    Der Marktplatz lag ausgestorben unter dem losbrechenden Gewitterregen.
    *
    Verlautbarung: Theater-, Tanz- und Musikveranstaltungen, die nicht von einer der behördlich genehmigten und zertifizierten Kunstvereinigungen durchgeführt werden, sind ab sofort strengstens verboten. – Der Bürgermeister
    Verlautbarung: Zauberwesen und Naturgeister haben sich bei den Meldeämtern vorzustellen und registrieren zu lassen. – Der Bürgermeister
    Verlautbarung: Fahrendes Volk, das ohne Nachweis einer sinnvollen und nützlichen Beschäftigung aufgegriffen wird, wird unverzüglich inhaftiert und des Landes verwiesen. – Der Bürgermeister
    Verlautbarung: Bis zur Fertigstellung entsprechender Auffanglager werden sämtliche in den Gemeinden registrierten Zauberwesen und Naturgeister auf den Gemeindeangern festgesetzt. – Der Bürgermeister
    Verlautbarung: Das sogenannte Bühnenvolk (Schauspieler, Tänzer, Musiker und Artisten), sofern es nicht einem der zertifizierten und behördlich genehmigten Theaterbetriebe angehört, wird ab sofort in nützliche Beschäftigungen in der Landwirtschaft und der Produktion überführt. – Der Bürgermeister

Zwischenspiel
    Abseits der Residenz nimmt das Leben weiter seinen beschaulichen Lauf, wie ihn die Jahreszeiten und das Wetter vorgeben, unberührt von den Wirrungen und Turbulenzen der hohen Politik und kaum gestört durch den Umstand, dass der eisige Ostwind nun das Land regiert. An das Verbot von Lustbarkeiten, die mit Musik und Tanz verbunden sind, haben die Menschen sich unter Murren und Knurren inzwischen gewöhnt. Auch an dem Umstand, dass beinahe alle Zauberwesen und Naturgeister aus den Wäldern, Auen und Bächen verschwunden sind, stößt sich niemand mehr. Wenn die Obrigkeit es so für richtig hält, dann muss es das wohl auch sein.
    Wir reisen übers Land und schauen uns ein wenig um. Die fruchtbare Ebene am Fuß des Sturmgebirges ist ein buntes Mosaik von Weizenfeldern, Bauerngehöften, Obstwiesen, Weiden und schmucken Ortschaften, durch das sich kleine Flüsse schlängeln. Mehr oder weniger gut befestigte Straßen und Wege führen von Dorf zu Dorf, vielfach aufgewühlt von Ochsenkarren und Pferdehufen, staubig im Sommer und schlammig im Herbst.
    Der kleine Ort Eichenbach liegt inmitten dieser Ebene und nichts unterscheidet ihn von seinen Nachbarnaußer eben dieser Lage im Herzen des Landes und der Tatsache, dass zweimal im Jahr ein großer Markt auf dem nahe gelegenen Hutanger stattfindet, zu dem alle Bauern der nahen und weiteren Umgebung anreisen.
    Eichenbach besteht aus einigen Dutzend ordentlichen Häusern, einem hübschen Dorfplatz, einem Teich, auf dem Enten schwimmen, und einem Gemeindehaus, in dem sich abends vor allem die jüngeren Eichenbacher treffen, um frisch gezapftes Bier zu trinken und (falls sie männlichen Geschlechtes sind) den Mädchen hinterherzupfeifen.
    Hätte sich nun wenige Tage vor dem Frühlingsmarkt einer der jungen Männer Eichenbachs statt ins Gemeindehaus auf den alten Hutanger draußen, hinter den letzten Häusern des Dorfes, verirrt, wäre ihm ein ungewöhnliches Schauspiel geboten worden. Als Erstes wäre sein Blick sicher auf den Wagenzug gefallen, der wie ein löchriger Zaun rund um eine hausähnliche Konstruktion aufgereiht steht. Das Bauwerk in der Mitte der bunten Wagen steht ein wenig schief, aber tapfer auf dem zertrampelten Untergrund – ein mehrstöckiges, rundes Gebilde, das weniger wie ein Haus, sondern eher wie ein verunglückter Getreidespeicher