Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geheime Leben der CeeCee Wilkes

Das geheime Leben der CeeCee Wilkes

Titel: Das geheime Leben der CeeCee Wilkes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
Vom Netzwerk:
unberührte Torte. “Ich habe bis zum Schluss auf ein Wunder gewartet. Und weißt du, was sie getan hat?” Sie konnte selbst nicht fassen, dass sie ihm plötzlich davon erzählen wollte. “Sie schrieb mir Briefe. Insgesamt etwa sechzig. Jeden einzelnen hat sie in einen Umschlag gesteckt und draufgeschrieben, wann ich ihn öffnen sollte. Es gab einen für den Tag nach der Beerdigung, einen zu jedem Geburtstag, und manche trugen eher willkürliche Daten für die Jahre, in denen ich ihrer Meinung nach besonders viel Rat brauchen würde, schätze ich. Es gab zum Beispiel einen für meinen sechzehnten Geburtstag, auf dem nächsten stand ‘sechzehn plus fünf Tage’, dann ‘sechzehn plus zwei Monate’ und so weiter.”
    Tim hatte sein Essen beendet und schüttelte erstaunt den Kopf. “Das ist phänomenal. Wie alt war sie?”
    “Neunundzwanzig.”
    “Mann, ich weiß nicht, ob ich in ihrer Situation so stark gewesen wäre.”
    Ein Gefühl der Ruhe überkam CeeCee und sie merkte, wie gut es gewesen war, ihm davon zu erzählen.
    “Also hast du noch viele Briefe von ihr, die du irgendwann in den nächsten Jahren öffnen kannst?”
    “Ehrlich gesagt, nein.” Sie lachte. “Ich habe jeden einzelnen am Tag nach der Beerdigung geöffnet.” Sie hatte allein im Gästezimmer einer alten Großtante gesessen und die Worte ihrer Mutter gelesen. Für vieles war sie noch zu jung, aber nicht zu jung, um zu begreifen, welche Kostbarkeit ihr da hinterlassen worden war. Weinend, den Körper hin- und herwiegend, hatte sie die Briefe gelesen und ihren Verlust bis ins Mark gespürt. Sie überflog Ratschläge über Sexualität und Kindererziehung, und es spielte keine Rolle, dass sie nichts davon verstand. “Ich habe sie aber noch.” Die Briefe befanden sich unter ihrem Bett in einer Schachtel, die mit ihr von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gewandert war. Sie waren alles, was von ihrer Mutter geblieben war. “Sie sagte immer, ich könne selbst entscheiden, ob ich glücklich oder traurig sein wolle. Dass sie ihre letzten Tage auch als verbitterte Hexe hätte verbringen können, das waren ihre Worte, nicht meine. Sie hat sich jedoch dafür entschieden, dankbar für die Zeit zu sein, die wir miteinander hatten. Sie sang mir immer ein Lied vor, darüber, dass man für den Morgen und die Bäume und die Luft dankbar sein sollte. Sie sagte, dieses Lied solle ich jeden Morgen singen und …” Plötzlich schloss sie betreten den Mund. Sie erzählte viel zu viel, ihr war fast schwindlig vor Erleichterung, einen so aufmerksamen Zuhörer neben sich zu haben.
    “Warum hörst du auf?”, fragte er.
    “Ich rede zu viel.”
    “Singst du das Lied?”
    Sie nickte. “Ja, im Kopf schon.”
    “Und hilft es?”
    “Sehr. Ich habe dann immer das Gefühl, sie wäre noch bei mir. Und deshalb versuche ich, für alles dankbar zu sein, auch für all das Unschöne, das ich erlebt habe.” Sie blickte auf ihren Teller, auf dem es inzwischen eher wie auf einem Schlachtfeld aussah. “Hu!”, murmelte sie. “So viel rede ich sonst nie. Über mein Leben, meine ich. Entschuldige.”
    “Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich möchte dich gerne besser kennenlernen. Und ich finde, du hattest Glück, so eine Mutter gehabt zu haben.”
    “Und du bist überhaupt nicht zu Wort gekommen.”
    “Dafür haben wir noch genug Zeit, CeeCee.” Tim starrte sie einen Moment an, dann lächelte er. “Ich mag dich sehr. Ich glaube, ich habe noch nie einen so optimistischen Menschen wie dich getroffen.”
    Diese Worte bedeuteten ihr mehr als jedes Kompliment. Denn solange man immer optimistisch war, konnte man alles erreichen.
    Später bot er ihr an, sie nach Hause zu fahren. Sie kletterte in seinen weißen Kleinbus, und als sie die Matratze im hinteren Teil erblickte, wurden ihre Knie weich. Sie wünschte, er würde sie bitten, mit ihm in diese dunkle Höhle zu schlüpfen. Er sollte ihr erster Mann werden. Doch stattdessen fuhr er sie zur Pension, lief um den Wagen und öffnete ihr die Tür.
    “Ich würde dich ja noch gerne hineinbitten”, sagte sie, als er sie zur Treppe begleitete. “Aber Männerbesuch ist bei uns nicht erlaubt.”
    “Schon in Ordnung.” Er küsste sie. Nur ganz sanft, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht mehr zu fordern.
    “Wir sehen uns morgen früh.” Das Verandalicht spiegelte sich in seinen Augen, er zog sie lächelnd am Haar, so wie die alte Frau an der Bushaltestelle, und sie erwiderte sein Lächeln strahlend. Dann schloss

Weitere Kostenlose Bücher