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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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der ganze Wind des Indischen Ozeans zu blasen.
    Jetzt erwachte auch Pierre.
    »Wo sind wir?«
    »An der Vanilleküste.«
    »Was für ein Geräusch ist das?«
    »Wir treiben direkt auf ein Riff zu!«, rief der Kapitän, der sich inzwischen über ihre genaue Position klar geworden war. »Ihr müsst mir helfen! Schnell!«
    Der Arzt beugte sich über den Rand des Kahns, um die Wassertiefe festzustellen und sicherzugehen, dass sich unter den Algen keine Felsen verbargen, man konnte aber nichts erkennen. Matthieu ging dem Kapitän mit plötzlicher Geschicklichkeit am Steuer zur Hand, gemeinsam wandten sie das Boot von den sich brechenden Wellen ab und zurück ins freie Wasser.
    »Ich hätte eigentlich gedacht, dass Seebären wie Ihr sich nichts Schöneres vorstellen können, als ein feuchtes Grab auf dem Meeresgrund zu finden!«, rief Matthieu spöttisch, während sie die Gefahr langsam immer weiter hinter sich ließen.
    »Aber nur so lange, bis sie ihren eigenen Platz gefunden haben«, erwiderte La Bouche und bückte sich, um sich unter dem Giekbaum durchzuschieben. »Was meinst du denn, warum Misson seit fünfundzwanzig Jahren nach jeder Reise wieder Libertalia ansteuert?«
    »Wahrscheinlich habt Ihr recht«, dachte Matthieu laut.
    Der Kapitän zog an einem Tau, um zu verhindern, dass der Kahn wieder in Richtung Klippe abdrehte.
    »Hilf mir mal hiermit!«
    »Mir ist auf einmal klar geworden, dass jemand, der nicht zu einem wahren Heim zurückkehren kann, sich auch niemals wirklich frei fühlen wird!«
    Seine Stimme vermischte sich mit dem Rauschen der Wellen.
    »Erzähl das beim nächsten Besuch Serekunda, mal sehen, ob diese Mulattenhexe dann endlich begreift, wie wichtig sie mir ist! Hilf uns doch hier, Pierre!«, bat er den Arzt, als deutlich wurde, dass sie die Barke auch zu zweit nicht unter Kontrolle bekamen.
    Der Arzt stand auf, um mit ihnen am Tau zu zerren. Während er es fest in den Händen hielt, warf er Matthieu einen kühlen Blick zu. Es gefiel ihm nicht, dass der Geiger dem Kapitän gegenüber so vertraut tat, obwohl er dahinter Berechnung vermutete.
    Kaum war die Gefahr endgültig gebannt, als Pierre in Schweigen verfiel und in die dunkle Nacht starrte.
    »Was hast du?«
    »Was zum Teufel ist dieser Schatten dort im Dunst?«
    »Oh mein Gott …«
    La Bouche stürzte sich auf die Musketen.
    »Das würde ich lieber bleiben lassen!«, warnte ihn eine Stimme.
    Der Kapitän hielt augenblicklich inne. Er legte die Hand auf den Griff seines Schwertes und drehte sich langsam um.
    Direkt neben dem Boot schälte sich ein hölzerner Riese aus dem Nebel, der gemächlich ächzte, als hätte man ihn mitten in der Nacht geweckt. Überall hingen weiße Tücher, sie waren um die Kanonenrohre gebunden, an das Geländer des Achterkastells und an das Stag bis hin zum Göschstock. Nach und nach zeigten sich einige Mitglieder der Besatzung. Matthieu zählte mindestens zwanzig Männer, die unerschrocken zu ihnen herabsahen. Es lief ihm eiskalt über den Rücken. So weiß wie die Stofffetzen waren auch ihre Gesichter, wie das Antlitz eines Geistes.
    Denn das war es doch wohl: ein Geisterschiff voll körperloser weißer Laken.
    Man warf ihnen ein Tau herunter, damit sie nicht abtrieben. Auf dem Wasser türmte sich der Schoner wie ein Berg vor ihnen auf. Er wirkte viel zu mächtig, um von Menschenhand erbaut worden zu sein.
    »Wer seid ihr?«, rief die Stimme.
    »Wir sind nur Seeleute.«
    »Habt ihr Schiffbruch erlitten?«
    »Wer spricht dort?«
    Die Geister brachen in ungeniertes Gelächter aus. Ein Windstoß zerrte heftig an den Tüchern der Takelage. Es war, als würde auch das Schiff über sie lachen.
    »Ich bin doch wohl derjenige, der hier die Fragen stellt. Was habt ihr in diesen Fässern?«
    »Wasser und Obst.«
    Die Männer beugten sich immer tiefer über die Reling. La Bouche hätte lieber erst gewusst, mit wem er es zu tun hatte, aber er musste rasch handeln.
    »Wir suchen Signore Caraccioli«, verriet er.
    Der andere Mann hielt seinem Blick einige Sekunden lang stand.
    »Den Piraten?«
    »Wir wollen nur wissen, ob Ihr ihm auf See begegnet seid.«
    Der andere ließ die Flagge seines Schiffes hissen. Auch sie war weiß, darauf standen jedoch die Worte Für Gott und für die Freiheit geschrieben. Die drei Franzosen sahen dabei zu, wie sie ihren Platz hoch über dem Schoner einnahm.
    »Also seid Ihr es …«
    »Ich bin nur der Maat«, antwortete der Mann.
    »Dann lasst Caraccioli rufen«, ordnete La Bouche jetzt wieder in

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