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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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nicht gehört?«
    Caraccioli sah ihn nachdenklich an.
    »Ich bin sicher, dass Misson dich auf dem Schiff gesehen hat«, murmelte er einige Sekunden später. »Und dass er damit intuitiv einen guten Grund hatte, diese Einladung auszusprechen. Dieser Grund warst du.«
    »Jetzt begreife ich überhaupt nichts mehr«, warf La Bouche ein.
    »Der Kapitän wird Euch alles genau erklärten, wenn wir in Libertalia eintreffen.«
    »Dann …«
    »Maat, sag dem Steuermann, er soll Kurs in Richtung Heimat aufnehmen!«
    Sie würden nach Libertalia aufbrechen, der Spur der Priesterin folgen …
    Caracciolis Gesicht nahm nun einen freundlichen Ausdruck an. Er griff nach dem Löffel, mit dem der Koch die Suppe umrührte, und roch daran.
    »Vanille … Der Geschmack und die Aromen Madagaskars überraschen wirklich«, sagte er und fuhr mit seiner Plauderei fort. »Aber selbst nach drei Jahrzehnten ist mir die Schildkrötensuppe der Karibik immer noch am liebsten! Wir haben damals Haifischfleisch in Limettensaft getaucht, um es dann mit Knoblauch, Thymian und Zwiebeln zu würzen …«
    »Und mit Rum aus Zuckerrohr!«, rief einer der Matrosen. »Auf Madagaskar gibt es keinen Rum!«
    »Und dann der Salmagundi!«, fügte Caraccioli hinzu. Er meinte einen mit Sardellen gewürzten karibischen Eintopf, für den ohne jede Scheu das Fleisch von Hunden, Katzen und Möwen benutzt wurde.
    Immer noch verunsichert setzten sich Pierre und La Bouche zu den Männern. Matthieu hingegen stieg mit dem Griot an Deck, um allein mit ihm zu sprechen.
    »Und wieder erscheinst du im passenden Augenblick.«
    »Du bist bei Gorée doch zwischen den Haien hindurchgeschwommen, um mich vom Grund der Bucht heraufzuholen«, antwortete der Afrikaner in ebenso dankbarem Tonfall. »Und offensichtlich bist du und niemand sonst derjenige, nach dem sie suchen. Das ist ganz allein dein Verdienst.«
    Matthieu stützte sich nachdenklich auf der Reling auf.
    »Warum zum Teufel braucht Misson unbedingt einen Musiker?«
    »Ich weiß es nicht. Als ich mit ihm gemeinsam dieses Schiff betreten habe, nahm er Caraccioli für ein Gespräch unter vier Augen beiseite. Ich konnte von ihrer Unterhaltung nur wenige Wortfetzen verstehen, es wurde jedoch klar, dass Libertalia im Moment wohl eine schwere Zeit durchmacht.«
    »Tatsächlich? Was genau hast du denn gehört?«
    »Der Kapitän erklärte seinem Statthalter, dass ich ein Griot sei, der die Geschichte des Diola-Volkes singt. Er fügte aber noch hinzu, dass all seine Probleme ein Ende hätten, wenn ich ein richtiger Musiker wäre.«
    Welche Probleme den bloß?, fragte sich Matthieu.
    Er wollte sich so gerne nach Luna erkundigen, danach, ob der Griot sie an Bord der Victoire gesehen hatte, beschloss dann aber, Diskretion zu wahren und sie erst einmal nicht zu erwähnen. Niemand, nicht einmal diese Art senegalesischer Schutzengel, durfte wissen, dass sie der Grund war, der sie wirklich hierhergeführt hatte. Matthieu schluckte und versuchte, seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Sein Blick verlor sich in der Dunkelheit, während der Wind an den weißen Tüchern des Geisterschiffes zerrte.

16
    S ie fuhren an der Küste entlang gen Norden. Am südlichsten Punkt der Insel markierten drei Buchten von atemberaubender Schönheit den genauen Moment, an dem das Schiff nach Steuerbord abdrehen und Kurs auf das offene Meer in Richtung Libertalia aufnehmen musste. Matthieu kamen sie vor wie die drei Elemente eines Barockkonzertes: die erste ein klares Allegro mit einer engen Öffnung, in welche die Wellen hineindrängten, um sich dann auf dem Vorhang aus Algen zu verteilen, die auf dem Strand trockneten. Die zweite war ein Adagio, ihr Sand strahlte so weiß, dass es in den Augen wehtat, und das Wasser war ein Kaleidoskop aus hundert verschiedenen Blautönen. Die dritte erinnerte wieder an ein Allegro mit sich ständig verändernden Dünen, auf denen Baobabs wuchsen und sich wie bedrohliche Wächter der Insel in den Himmel reckten. Er hätte allerdings nicht erwartet, dass ihm das Beste noch bevorstand.
    Kurz nachdem sie die Küste hinter sich gelassen hatten, kamen sie an zwei großen Felseninseln vorbei, die wie ein Tor über den Zugang zu einem verbotenen, geheimen Ort wachten. Durch dieses Portal erreichte man, was Misson »Smaragdmeer« getauft hatte. Welch anderen Namen hätte man diesen Gewässern auch sonst geben sollen? Wie durch Zauberhand verwandelte sich die Farbe des Ozeans hier von undurchdringlichem Blau zu einem blassen und

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