Das geheime Lied: Roman (German Edition)
habe nichts gehört«, antwortete Charpentier.
»Und da kommen sie auch schon …«, murmelte Matthieu.
»Was willst du damit sagen?«, drängte der Engländer.
»Es ist so weit. Die Mörder meines Bruders sind hier.«
Newton verzog das Gesicht.
»Was ist so weit? Du wusstest, dass …«
Er konnte seinen Satz nicht beenden. Das Türschloss flog durch die Luft, und Holzsplitter spritzten. Zwei unbekannte Männer betraten den Raum, gefolgt von dem Meuchelmörder, der vor Monaten auf dem Friedhof den Matrosen getötet hatte.
»Keiner rührt sich!«, brüllte dieser.
»Was soll das?«, rief der Wissenschaftler aus.
Der kräftigste der Männer versetzte Matthieu einen Schlag mit dem Griff seines Schwertes, schleuderte ihn gegen die Wand und hielt ihn mit der Klinge an der Kehle in Schach.
Der Mann vom Friedhof ging auf Charpentier zu.
»Ich hatte mich schon so darauf gefreut, dich endlich wiederzusehen!«
Unvermittelt versetzte er dem Komponisten eine Ohrfeige und hielt ihm dann den Lauf seiner Pistole an die Stirn.
»Ich fürchte Euch nicht! Lump!«
»Nicht, Onkel!«, warnte ihn Matthieu.
»Wo ist die Partitur?«
Newton versuchte zunächst, sie unauffällig unter all den Gegenständen auf dem Tisch zu verbergen, überlegte es sich dann aber anders und warf sich in Richtung Ofen, um die Noten zu verbrennen. Der dritte Eindringling hielt ihn auf, bevor er das Papier den Flammen übergeben konnte, indem er ihm einen Stuhl vor die Füße warf. Er nahm dem Engländer das Blatt aus der Hand und reichte es dem Meuchelmörder, der es überflog, ohne dabei die Pistole sinken zu lassen. Schließlich drehte er sich zufrieden um und wandte sich mit prahlerischen Worten an Matthieu: »Was hattest du denn erwartet? Wir sind dir gefolgt, seit du in La Rochelle französischen Boden betreten hast.«
»Ihr widert mich an!«
Der Mann lachte. Der andere übte mit der Schwertklinge noch mehr Druck auf Matthieus Kehle aus.
»Weißt du«, fügte der Mörder spöttisch hinzu, »unsere Auftraggeber hatten gar nicht damit gerechnet, dass du lebend von Madagaskar zurückkehrst. Und auch noch so äußerst erfolgreich.«
Newton wand sich nach dem Zusammenstoß mit dem Stuhl vor Schmerzen, brachte aber noch die Kraft auf, Matthieu vom Fußboden aus Vorwürfe zu machen. »Du verdammter Narr!«, rief er und verlieh seinen Worten einen bitteren Tonfall. »Sollte das nicht eine geheime Mission sein? Dachte nicht angeblich jeder, dass du noch in der Bastille hockst?«
»Macht Euch keine Sorgen …«, entgegnete Matthieu erstaunlich ruhig.
Er wandte sich zur Tür um und betrachtete sie reglos. Augenblicklich war ein dumpfes Geräusch auf der Treppe zu vernehmen. Mehrere Stiefelpaare polterten die Stufen hinauf …
»Waffen weg!«, befahl eine Stimme.
»Wir sind hier!«, rief Matthieu.
Dann fielen Schüsse. Einer der Eindringlinge stürzte auf die Tischplatte, und die gläsernen Behälter darauf zersprangen in tausend Scherben. Pulverdunst erfüllte den Raum. Der Mann, der Matthieu bedroht hatte, wurde an der Schulter getroffen. Er ließ den Musiker los und warf sich mit der Verzweiflung einer waidwunden Bestie auf die Neuankömmlinge, war aber zu langsam. Der erste von ihnen wich ihm aus und bohrte ihm einen kurzen Säbel in die Brust, den er im Fleisch noch einmal herumdrehte.
»Achtung, Präfekt!«, rief Charpentier und machte sich von dem Friedhofsmörder los, der inzwischen auf die Männer bei der Tür zielte.
Nicolas de la Reynie, der die Polizeipatrouille persönlich anführte, hob seine Waffe.
»Mach es mir doch nicht so leicht …«
Der Meuchelmörder warf seine Pistole zu Boden und hob die Hände hoch.
»Präfekt? Was hat das zu bedeuten?«, empörte sich Newton, der nicht nur wegen des Überfalls aufgebracht war, sondern auch weil er überhaupt nicht begriff, was hier eigentlich vor sich ging.
»Mein Vater hat sie verständigt«, erklärte Matthieu.
Einen Augenblick lang herrschte großes Durcheinander. Matthieu entriss dem Mörder hastig die Partitur. Die Polizisten brüllten sich gegenseitig an, trampelten im Blut der beiden toten Männer herum und wussten nicht so recht, auf wen sie ihre Waffen eigentlich richten sollten. In diesem Moment erschien auch der Schreiber. Er war völlig aufgelöst und schloss seinen Sohn in die Arme.
»Beruhige dich, Vater, jetzt ist ja alles gut …«
Newtons Zorn wurde noch viel größer, als er begriff, dass man ihn als Köder benutzt hatte, aber die Männer hatten ja
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