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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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zerstörter Matthieu mit Gesten zu verstehen. »Sei still!«, antwortete ihm Lully stumm vom Fuße der Bühne aus. Aber Matthieu brauchte eine Erklärung, das konnte er so nicht stehen lassen. Ihr habt mir mein Duett gestohlen!, klagten seine Augen den Komponisten an. Ihm hätte nur ein einziger Blick genügt, mit dem der Maestro Reue darüber gezeigt hätte, so tief gesunken zu sein. Lully war jedoch viel zu arrogant, um nachzugeben, und verabschiedete sich mit einer Miene, die lediglich seiner Verachtung Ausdruck verlieh, bevor er sich wieder zum Orchester umwandte.
    Matthieu fühlte sich so gedemütigt wie nie zuvor. Das Blut kochte in seinen Adern, auf einmal überkamen ihn der Zorn und die Müdigkeit, die sich in den fast schlaflosen letzten zwei Wochen in ihm aufgestaut hatten. Bilder von Jean-Claude, der nicht mehr war, stürmten auf ihn ein. Er stand auf und wollte mit Nathalie sprechen, aber es war ihm unmöglich, an ihren Stuhl in der Mitte des Saals heranzukommen. Er musste einfach jemandem erzählen, was geschehen war, um sich von diesem Gefühl der Ohnmacht zu befreien, das seine Hände erzittern ließ. Nicht weit entfernt entdeckte er am seitlichen Rand der Bühne den Kammermusikmeister und ging zu ihm hinüber. Da Lullys Ballettopern sich üblicherweise in die Länge zogen, war es nicht ungewöhnlich, dass das Publikum während der Vorstellung aufstand, der Amadis hatte aber gerade erst begonnen, und alle saßen auf ihren Plätzen, wie gebannt von der harmonischen und visuellen Schönheit des Schauspiels, die durch die Aufführung im Wintergarten noch verstärkt wurde. Zwischen den Stuhlreihen und der Wand war kaum Platz, daher berührte er unterwegs den Ärmel des einen oder anderen Edelmanns, der unwirsch von ihm abrückte. Auf Höhe der Reihe, in der Le Pautre saß, hockte sich Matthieu hin und versuchte, mit einem Zischlaut die Aufmerksamkeit seines Lehrers auf sich zu lenken. Dieser sah ihn verblüfft an. In immer lauter werdendem Flüsterton versuchte Matthieu, ihm zu erklären, was vorgefallen war. Le Pautre wollte nichts davon hören, ihn quälte die Sorge, was wohl die anderen Zuschauer in seiner Nähe denken würden. Er bat seinen Schüler lediglich mit höflichen Gesten, ihn in Ruhe zu lassen und zu seinem Platz zurückzukehren.
    Lully hatte Matthieu nicht eine Minute aus den Augen gelassen. Er bedeutete den Orchestermitgliedern fortzufahren und verließ seinen Platz vor der Bühne. Anschließend trat er an zwei Wächter heran, die neben der Tür strammstanden, flüsterte ihnen etwas ins Ohr und deutete auf den jungen Musiker.
    Das kann doch nicht sein …, dachte dieser entsetzt. Lässt er mich etwa festnehmen?
    Einen Moment lang zog er in Erwägung, auf die Männer zuzugehen und das Vorgefallene zu erklären, dann aber sah er sich um und begriff, wie ernst seine Situation war. Also überlegte er es sich nicht zweimal und kehrte rasch in den hinteren Bereich des Wintergartens zurück. Er ging an der Stelle vorbei, an der er vorher gesessen hatte, und verbarg sich hinter üppigen Pflanzen, die mit Sicherheit nicht auf französischem Boden gesprossen waren. Er hoffte, dass man die Sache vielleicht auf sich beruhen lassen würde, wenn er sich außer Sichtweite brachte, doch die Wachen marschierten weiter voran.
    Die Höflinge wurden langsam unruhig und fragten sich, was da wohl vor sich ging. Das Gemurmel war bis auf die Bühne zu hören. Bei Sängern und Musikern begannen sich kleine Fehler einzuschleichen. Der offizielle Choreograph sah sich mit gerunzelter Stirn um.
    Matthieu zog in Erwägung, eine Treppe hinabzulaufen, die er neben dem Eingang der nächsten Galerie entdeckte, ihm wurde aber klar, dass er sich selbst den Fluchtweg abschneiden würde, wenn er in den Palastkellern landete. Also warf er sich in Richtung eines Fensters zu einem Hof mit einem Teich, es stellten sich ihm jedoch zwei Wachen in den Weg, die er vorher nicht gesehen hatte. Er schlug einen Haken und rannte auf den Nebensaal zu, in dem die meisten Orangenbäume aufbewahrt wurden. Nervös stieg er auf einen Blumentopf, um von diesem erhöhten Punkt aus seine Lage besser einzuschätzen, hatte aber das Pech, den Kübel dabei umzuwerfen und einen Dominoeffekt auszulösen, der weitere Bäume umriss und dabei die letzten Stuhlreihen erreichte. Der krachende Lärm übertönte bei weitem die Streicher des Orchesters, und jetzt wurde die Vorstellung schließlich unterbrochen.
    »Ergreift diesen Mann!«, wütete Lully.
    Das war

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