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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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brüllte der Maestro, verließ das Dirigentenpodest und kam auf sie zu.
    Der König wandte sich mit eiskaltem Blick in seine Richtung. Lully musste seinen Stolz hinunterschlucken und blieb in einiger Entfernung stehen.
    »Maestro Lully hat in meiner gerade fertiggestellten Partitur geblättert und dann beschlossen, sie an sich zu nehmen«, fuhr Matthieu fort. »Ich war sicher, dass sie ihm gefallen hatte. Ich bin davon ausgegangen, dass er nach sorgfältigem Studium des Stückes noch einmal mit mir darüber sprechen würde. Dann habe ich aber nichts mehr darüber gehört, bis eben die Sopranistin zu singen begonnen hat.«
    »Schenkt Ihr diesem Mann wirklich Glauben?«, mischte sich Lully erneut empört ein. »Es ist wahr, dass er ein Schüler des Kammermusikmeisters ist, aber ich habe bis zu diesem Augenblick noch nie mit ihm gesprochen.«
    Alle Anwesenden verfolgten die Unterhaltung, als sei sie ein Teil der Vorstellung.
    »Kannst du beweisen, was du da behauptest?«, fragte der Souverän Matthieu.
    »Niemand außer ihm hat die Partitur je zu Gesicht bekommen. In jener Nacht ist so viel passiert …« Er schloss die Augen und verstummte kurz. »Mein Bruder war gerade ermordet worden, und ich war am Boden zerstört. Ich machte mich auf den Weg zur Akademie und schrieb dort das Duett nieder, bis ich erschöpft zusammenbrach. Maestro Lully erschien im Morgengrauen, um das neue Libretto des Amadis zu holen. Zunächst war er erzürnt, weil ich seine Verse benutzt hatte …«
    Irgendetwas sagte dem König, dass dieser junge Mann die Wahrheit sprach, doch er konnte es nicht wagen, in einer so delikaten Angelegenheit seinem Instinkt zu folgen.
    »Du hast gesagt, dass du das Duett nach dem Tod deines Bruders geschrieben hast. Wie war sein Name? Gibt es unter den Anwesenden irgendjemanden, der deine Geschichte bestätigen kann?«
    Matthieu war klar, dass er sich jetzt auf dünnem Eis bewegte, aber er musste antworten.
    »Er hieß Jean-Claude.«
    »Jean-Claude?«, warf auf einmal Lully mit lebhafter Stimme ein. Er hatte sich den Namen genüsslich auf der Zunge zergehen lassen. »Jean-Claude Charpentier, der auf der Freitreppe vor Saint-Louis ermordet wurde?«
    Matthieu ließ den Kopf hängen.
    »Ja.«
    »Du bist also ein Neffe von Marc-Antoine Charpentier und hast das nicht angegeben, als du dich in meiner Schule eingeschrieben hast? Wie konntest du so etwas bloß verschweigen? Hast du etwa gedacht, ich würde dich deshalb nicht als Schüler aufnehmen, du Unglückseliger?« Lully drehte sich voller Entschlossenheit zum König um. »Selbst Euch, Majestät, hat er seinen Namen verschwiegen! Wie soll man einem Mann Glauben schenken, der seiner eigenen Familie abschwört?«
    »Sperrt ihn ein«, befahl der Herrscher ein wenig resigniert.
    »Aber ich sage doch die Wahrheit!«, rief Matthieu.
    »Werft ihn augenblicklich in den tiefsten Kerker der Bastille, und möge ihn seine Reue zerfressen bis zu seinem Tode!«
    Jetzt geriet Matthieu in Panik.
    »Nein, nein … Majestät!«, schrie er verzweifelt. »Wartet …!«
    »Machen wir dieser Sache ein Ende!«
    Während die Wachen ihn davonschleiften, schaute Matthieu Nathalie an. Wenn er aus dieser misslichen, kaum wiedergutzumachenden Lage entkommen wollte, brauchte er ihre Hilfe. Dann aber sah er ihre verstörte Miene, wie sie den Hals reckte, um so allein in der Dunkelheit und im Durcheinander eine Erklärung für das alles zu finden, und beschloss, sie nicht zu kompromittieren. Lieber wandte er sich an die Sopranistin, die noch immer mitten auf der Bühne stand.
    »Virginie, sag ihnen die Wahrheit!«, rief er auf einmal.
    Selbst unter all der Schminke konnte man sehen, wie leichenblass die Sängerin auf einmal wurde. Wie konnte er es bloß wagen, sie vor allen derart bloßzustellen?
    »Ich bin nicht …«
    »Erklär es ihnen, Virginie! Du weißt doch, dass nur ich so etwas komponieren kann. Das hast du mir schließlich oft versichert, sag es ihnen jetzt!«
    Alle Höflinge lächelten gehässig. Der verrückte Gilbert musste übermenschliche Kräfte aufbringen, um Haltung zu bewahren. Als alter Soldat, der schon hundertmal einem Hinterhalt entgangen war, war ihm klar, dass man ihn sofort als gehörnten Ehemann abstempeln würde, wenn er nun aufsprang und den Musiker schweigen hieß. Wenn er jedoch ruhig blieb – beinahe abwesend wirkte –, würden die anderen denken, dass es sich um eine Geschichte handelte, die der junge Mann sich einfach nur ausgedacht hatte, oder – im schlimmsten

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