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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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Waffe benutzen konnte. Sein Sohn wollte wenigstens auf den Überraschungseffekt setzen und gebot ihm, keinen Lärm zu machen. Charpentier konnte gerade noch zur Seite treten, als der Hüne mit einem Schulterstoß die Tür niederriss. Noch bevor die Holzsplitter den Boden erreicht hatten, bohrte ihm der Seemann die Heugabel in den Hals. Der Meuchelmörder sank auf das schmutzige Heu. Der Matrose umklammerte den hölzernen Griff mit aller Kraft und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Gabel. Blut spritzte durch den Raum. Der nächste hatte den Heuschober kaum betreten, da rammte ihm der Vater mit einer für sein Alter ungewöhnlichen Kraft eine Sichel in den rechten Oberschenkel. Mit der Metallklinge im Bein wankte der Mann schreiend wieder nach draußen und drängte so seinen Begleiter zurück.
    »Lauft!«, schrie der Vater, während er eine scharfkantige Hacke schwang. »Ich halte sie auf.«
    Sein Blick traf den seines Sohnes. Der Seemann begriff, dass sein Vater nicht mit ihnen Schritt halten konnte, und verschwand mit Charpentier durch die Tür zum Haus. Sie durchquerten einen Raum, von dessen Decke tote Hasen hingen, die darauf warteten, gehäutet zu werden. Der Komponist verletzte sich an einem der Haken. Sie passierten ein weiteres Zimmer, in dem ein Kamin vor sich hin qualmte, warfen einen Topf mit kochender Flüssigkeit um und rannten durch die Haustür hinaus auf die Straße. Hilfesuchend schauten sie sich um, das Stadtviertel war jedoch menschenleer bis auf einen einbeinigen Bettler, der vor einer Mauer hockte und nun zu ihnen hochsah. Dem Seemann fiel wieder ein, dass ja alle beim Begräbnis eines Gemeindedieners waren, der in der Nacht zuvor an Tuberkulose gestorben war. Er rannte in Richtung Friedhof, um sich dort unter die Trauergäste zu mischen. Charpentier konnte ihm kaum folgen. Der Gottesacker befand sich auf der anderen Seite der Anhöhe. Dort wurden Tote begraben, ein Nachbar brachte auf dem gleichen Gelände aber auch seine Schweine unter. Charpentier stolperte den Hügel hinunter, so gut er konnte, und hielt dabei seinen Umhang fest. Er kam der Gesellschaft der Trauergäste immer näher, als er plötzlich strauchelte und den Hang hinabstürzte, bis er mit dem Rücken gegen einen Grabstein stieß. Der Matrose kam zurück, um ihm zu helfen.
    »Bring dich in Sicherheit!«, flehte der Komponist und umklammerte seinen Knöchel, den er sich verdreht hatte.
    »Verdammt noch mal, ich lasse Euch hier nicht zurück!«
    »Ich bin ersetzbar, dich brauchen wir aber lebendig!«
    »Und wenn Ihr nicht gekommen wärt, um mich zu warnen, dann wäre ich doch längst tot! Steht auf!«
    Als er sich gerade bücken wollte, um den Musiker hochzuhieven, hörte er den Schuss.
    Ein Stechen in der Schulter.
    Er verharrte einige Sekunden reglos.
    Blut quoll hervor …
    Mit weit aufgerissenem Mund musste Charpentier dabei zusehen, wie der Seemann rücklings in den Morast fiel. Er wandte sich zum Gipfel des Hügels um. Dort entdeckte er einen der Meuchelmörder, der mit noch rauchender Pistole in seine Richtung lief.
    Alle Beerdigungsgäste hatten sich zu ihnen umgedreht, Charpentier musste aber mit Entsetzen feststellen, dass keiner von ihnen Anstalten machte, ihm beizustehen. In diesem Stadtviertel mischte man sich nicht in die Angelegenheiten anderer ein. Die Menschenmenge verlief sich langsam, während der Priester die Szene mit frommem Blick betrachtete und der Messdiener, ein Junge mit Schorf im Haar, die Pendelbewegungen des Weihrauchfässchens einstellte.
    Noch immer neben dem toten Matrosen ausgestreckt, beschwor er die Männer: »So helft mir doch!«
    »Warum sollten sie für einen Verräter auch nur einen Finger krumm machen«, rief der Meuchelmörder, der ihn schon fast erreicht hatte, mit lauter Stimme.
    »Verräter?«
    »Wer lässt sich sonst mit einem schmutzigen Engländer ein?«
    Meinte er etwa Dr. Evans oder Newton? Wie hatte er davon erfahren? Charpentier konnte sich nach wie vor nicht rühren, während der Mörder vor seinen Füßen stehen blieb und in aller Ruhe die Waffe nachlud.
    »Dein Vaterland ist dir ja wohl egal«, hielt er Charpentier plötzlich mit verzweifelter Wut vor. »Du suchst doch nur …«
    In diesem Augenblick richtete sich der totgeglaubte Matrose mit einem Mal auf und versetzte dem Verbrecher von hinten einen brutalen Tritt gegen die Beine, so dass dieser mit den Knien gegen den Grabstein stieß. Die Pistole glitt ihm aus der Hand und rutschte ein paar Meter weiter. Der

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